Es fährt kein Zug durchs Höllental

Dringend benötigte Bahnstrecke zwischen Bayern und Thüringen harrt ihrer Reaktivierung

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Kommunalpolitiker und Unternehmen kämpfen für die Wiederöffnung einer Bahntrasse zwischen Thüringen und Bayern, um mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Doch sie beißen mit ihrem Vorhaben auf Granit.
Die Gleise liegen noch.
Die Gleise liegen noch.

Ralf Kalich ist sauer. Er ist seit einem Jahr Bürgermeister der Gemeinde Blankenstein im Südosten Thüringens – direkt an der früheren Staatsgrenze. Kalich erlebt tagtäglich, wie sich unzählige Brummis durch die engen Straßen seiner Gemeinde quälen und den Einwohnern den letzten Nerv rauben. Dabei könnte ein Großteil dieser Transporte schon längst über die Schiene rollen. Voraussetzungen und Nachfrage wären vorhanden. Zumal Blankenstein mit Einzelhandelsgeschäften, Apotheke, Kindertagesstätte, Ärztehaus, Gastronomiebetrieben und Bahnanschluss besser ausgestattet ist als manch vergleichbare Gemeinde.

Dies hat viel mit der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal (ZP) zu tun. Die ZP, größter Arbeitgeber am Ort, wurde zu DDR-Zeiten als hochmoderne Fabrik mit hohen Umweltstandards ausgebaut. Sie hat – wenn auch mit reduzierter Belegschaft – die Veräußerung durch die Treuhandanstalt gut überstanden. Um 1989 besuchte viel Politprominenz das Werk.

Der von der ZP produzierte Kraftzellstoff ist die Grundlage für die Produktion von Papier und Hygieneartikeln. Der Betrieb verarbeitet riesige Mengen Holz und Chemikalien. Weil ein großer Teil der Lieferanten und Kunden in Süddeutschland, Österreich, Slowenien und Italien angesiedelt ist, macht ein Bahntransport viel Sinn. Doch bisher müssen sich die Güterzüge aus Blankenstein auf der einspurigen Schienenanbindung zuerst in nördlicher Richtung über das Thüringer Schiefergebirge zum rund 60 Kilometer entfernten Bahnknoten Saalfeld durchkämpfen, ehe sie dann in südlicher Richtung weiter rollen. Ein riesiger Umweg. Schneller, billiger und umweltschonender wären Güterzüge über die nahe nordbayerische Metropole Hof.

Doch dazu fehlen rund 5,5 Kilometer Gleis von Blankenstein südwärts durch das malerische Höllental bis zum oberfränkischen Marxgrün an der Strecke Bad Steben-Hof. Die Höllentalbahn ist ein Opfer der deutschen Teilung.1945 rollte hier der letzte Zug von Bayern nach Thüringen. Es folgte ein jahrzehntelanger Dornröschenschlaf. Doch in den neunziger Jahren wurden Rufe nach einer Wiederbelebung laut. Denn die stillgelegte Trasse ist noch vorhanden, unverbaut und bisher nicht umgewidmet.

Eine Sanierung wäre vielleicht für 15 Millionen Euro möglich, schätzt Ralf Kalich. Die Neubaustrecke von Nürnberg über Erfurt nach Berlin, die derzeit weiter westlich durch den Thüringer Wald gebohrt wird, dürfte hingegen bis zu 15 Milliarden kosten. Ob diese Rennstrecke jemals »wirtschaftlich« sein wird, bezweifelt Kalich. Fest steht für ihn allerdings, dass Anrainer und lokale Wirtschaft von dem teuren Bauwerk keinen Nutzen haben.

»Viele Ortsumgehungsstraßen sind teurer als die Wiederinbetriebnahme der Höllentalbahn«, sagt auch Fritz Sell aus dem nahen oberfränkischen Naila: »Da fragt keiner nach der Rentabilität.« Er setzt sich seit bald einem Jahrzehnt mit der Initiative Höllennetz e.V. für den Lückenschluss ein. Sell, Kalich und ihre Mitstreiter haben ein starkes Echo gefunden. Bürgermeister, Kommunen und politische Akteure der Region, Holzindustrie, IHK, Verkehrs- und Fahrgastverbände stehen hinter ihnen. Kürzere Wege und eine in Studien ermittelte mögliche Einsparung von bis zu 70 000 Lkw-Fahrten pro Jahr sind starke Argumente. Allein mit einem täglichem Güterzugpaar Richtung Süden könnte über eine halbe Million Liter Diesel pro Jahr eingespart werden, so Sell. Ein weiterer Lückenschluss zwischen Hof und dem tschechischen Asch könnte nicht nur die CO2-Emissionen verringern, sondern noch mehr Holztransporte aufs Gleis bringen, eine Direktverbindung von Saalfeld über Hof bis nach Nordböhmen schaffen und ein riesiges neues Potenzial für den Schienengüterverkehr schaffen, so die ZP-Geschäftsführung.

Projektgegner halten die Höllentalbahn aus Sicht des Personenverkehrs für »unwirtschaftlich«. Doch eine Wirtschaftlichkeitsberechnung unter Berücksichtigung von Personen- und Güterverkehr sei nicht erstellt worden, moniert Kalich. Weil in Blankenstein der Rennsteig auf drei weitere Premium-Fernwanderwege und Radwege trifft, könnte ein durchgehender Personennahverkehr von Hof nach Saalfeld noch viel mehr Touristen anziehen als bisher. Nutznießer dürften auch Thüringer Pendler mit einem Arbeitsplatz in Hof sein. Mit ihren handfesten Argumenten beißen die Höllentalbahn-Befürworter bei den Verantwortlichen in Bahnzentrale, Bundesregierung und den Landeshauptstädten Erfurt und München auf Granit. »Man schiebt sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu«, so Sell. Dass sich die Thüringer CDU-SPD-Koalition 2009 zur Höllentalbahn bekannte, ist folgenlos geblieben. Auch der direkt gewählte Hofer Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Friedrich (CSU) hält sich seit seiner Ernennung zum Bundesinnenminister in dieser Frage zurück. Mit dem Verzicht auf den Lückenschluss »werden die Folgen der deutschen Teilung zementiert«, bemängelt die ZP-Geschäftsführung. »Glaube keinem Politiker, der das Wort Schienengüterverkehr in den Mund nimmt«, so Sells Fazit.

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