Polizei demütigte Antifaschisten

Brandenburgs LINKE protestiert dagegen, wie Neonazis in Neuruppin der Weg gebahnt wurde

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Polizeieinsatz gegen Gegendemonstranten bei einem Neonazi-Aufzug am Samstag in Neuruppin (Brandenburg) wird ein Nachspiel haben. Die LINKE im Landtag fordert, das Vorgehen der Polizei zu untersuchen.

Wenn Polizisten Antifaschisten vor Neonazis demütigen, dann kann eine rot-rote Landesregierung das nicht auf sich beruhen lassen. Brandenburgs Justizminister Volker Schöneburg (LINKE) kündigte gestern in der Linksfraktion an, sich auch um das unverhältnismäßige Festhalten und die erniedrigende Behandlung von Gegendemonstranten durch Polizeibeamte zu kümmern.

Was am Sonnabend in Neuruppin stattfand, als eine genehmigte antifaschistische Gegendemonstration sich einem Neonazi-Aufmarsch in den Weg stellen wollte, ist in Brandenburg bislang ohne Beispiel gewesen. So wie sich Beteiligte und Opfer gestern in der Fraktionssitzung der Linkspartei äußerten, liegt die Vermutung nahe, dass die Polizei an jenem Sonnabend nicht etwa die rechtsextreme Zusammenrottung als Gegner betrachtete, sondern Jugendliche und Rentner, die sich zur Gegenwehr durch eine Sitzblockade entschlossen. Die Blockade wurde geräumt, während die Verhandlungen noch im Gang waren. Die Teilnehmer wurden danach bis zu fünf Stunden festgehalten.

»Die Justiz hat nicht gebilligt, dass die Polizei in dieser Weise vorgeht«, erklärte Justizminister Schöneburg. Im Gegenteil, die Justiz habe versucht, deeskalierend zu wirken und ein Leitender Oberstaatsanwalt sei auch am Ort des Geschehens gewesen. Aber, so Schöneburg: »Wir haben keine Eingriffsmöglichkeit.« Es sei unverhältnismäßig, dass Gegendemonstranten nach einer friedlichen Sitzblockade stundenlang festgehalten werden, ohne dass man ihnen die Benutzung von Toiletten ermöglicht und sie versorgt, unterstrich der Minister. Erst recht nicht zu verstehen sei, dass Menschen so behandelt worden sind, die sich freiwillig nach der Aufforderung der Polizei von der Blockade entfernen wollten.

»Verheerendes Signal«

Laut Minister hat der Oberstaatsanwalt interveniert und gegenüber der Polizei darauf hingewiesen, dass eine ähnliche Veranstaltung im Sommer ruhig ablief und dies mit ausdrücklicher Billigung der Polizei. Schöneburg sagte: »Der Justiz ist im Vorfeld klar gewesen, die Polizei wolle rigoroser durchgreifen.« Den Vorwurf, dass es ein »Komplott zwischen Innen- und Justizministerium« in der Sache gegeben habe, wies er zurück.

Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser verlas die trockene Notiz, die von der Polizei zu dem Ereignis gemacht wurde: Eine nicht angemeldete Sitzblockade sei geräumt worden, die Demonstration der Rechten sei dagegen »störungsfrei« zu Ende gegangen. Von 176 Menschen habe man die Identität festgestellt.

Kaiser sprach von einem »verheerenden Signal«, wenn Menschen, die gegen Intoleranz, Ausländerfeindlichkeit und Neofaschismus Gesicht zeigen und aufstehen, »von Beamten dieses Landes gedemütigt werden«. Dies sei Konsens bei den Mitgliedern der rot-roten Regierung. Ihre eigene Tochter habe ihr aus Neuruppin berichtet, sie seien »wie Verbrecher« behandelt worden. »Ich bin nicht bereit, dafür politisch die Verantwortung zu übernehmen«, erklärte Kaiser. Es dränge sich der Eindruck auf, dass hier nach Plan vorgegangen worden sei.

Der Abgeordnete Jürgen Maresch, er ist selbst Bundespolizeibeamter, sprach von einem »Chaos« bei der Polizei. Die Demonstranten seien alle friedlich geblieben, hätten vorbildliche Disziplin gezeigt. Besonders nehme er den Kollegen übel, dass sie die rechtsextreme Demonstration unmittelbar an den eingekesselten linken Demonstranten vorbeiführten, was eine Demütigung gewesen sei.

Markus Günter von der Linksjugend solid berichtete, Mädchen seien ebenfalls bis zu fünf Stunden lang eingekesselt und gezwungen gewesen, in Gullys zu urinieren, weil lange keine Toiletten vorhanden waren. Eine Rentnerin, die ihre Medikamente einnehmen wollte, sei mit der Drohung konfrontiert worden, sie verstoße gegen das Betäubungsmittelgesetz.

»Wir wissen bis heute nicht, wer der zuständige Einsatzleiter war«, bedauerte Kaja Herrlich, Rechtsanwältin des Aktionsbündnisses »Neuruppin bleibt bunt«. Die Polizei sei an dem bewussten Tag im Unterschied zu sonst nicht gesprächsbereit gewesen, habe inkompetente Leute zu Verhandlungen entsandt. An die Einsatzleitung sei niemand herangekommen. Das Anti-Konflikt-Team der Polizei habe sich »die Sonne auf den Bauch scheinen« lassen, aber nicht wirkungsvoll eingegriffen.

Was sagt Minister Woidke?

Die Bundestagsabgeordnete Kirsten Tackmann (LINKE) erklärte, das Verhalten der Polizei habe die »politische Arbeit von Monaten ruiniert«. Die Rechtsextremen hätten in diesem Jahr bislang keinen Fuß in die Tür bekommen. Mit Neuruppin sei das wieder anders.

»Wir erwarten klare Worte von Innenminister Woidke«, sagte Kerstin Kaiser. Sie zollte den Gegendemonstranten Anerkennung dafür, »dass sie mutig ihr Gesicht gezeigt haben gegen Rassismus und Neofaschismus«. Es sei zu hoffen, dass das Verhalten der Polizei nicht Menschen abschrecke, gegen braunen Ungeist aufzustehen.

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