Licht und Schatten

  • Sven Giegold
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Europaabgeordnete ist wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen/EFA im EU-Parlament.
Der Europaabgeordnete ist wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen/EFA im EU-Parlament.

Das Europäische Parlament hat am Mittwoch das Economic Governance-Paket verabschiedet. Zwei Berichte (Ferreira, Haglund) schaffen gesetzliche Rahmenbedingungen zum Umgang mit und zum und Abbau von volkswirtschaftlichen Ungleichgewichten. Der Ford-Bericht soll die Transparenz der Haushaltsdaten verbessern und Manipulationen verhindern. Drei weitere Berichte reformieren den Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Wir Grüne unterstützen eine ehrgeizige europäische wirtschaftliche Steuerung, die Solidarität und Verantwortung gemeinsam verfolgt. Das ist bei den Berichten zu wirtschaftlichen Ungleichgewichten in Europa gelungen. Es ist zu begrüßen, dass sowohl Mitgliedsländer mit Überschüssen als auch Staaten mit Defiziten einen Beitrag zum Abbau der volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa leisten müssen und bei Nichthandeln sanktioniert werden können. Insbesondere Deutschland wird nun gefordert sein, durch Mindestlöhne, faire Lohnabschlüsse und Zukunftsinvestitionen zur Verringerung des Ungleichgewichts zwischen exportstarken und exportschwächeren Mitgliedsstaaten beizutragen. Der Ford-Bericht verbessert die Transparenz der mitgliedsstaatlichen Haushaltsdaten, da er striktere Regeln sowie Analyse durch unabhängige Institute vorschreibt. Diese drei Berichte sind unterstützenswert, da sie effektive Ansätze zur Überwindung der Ungleichgewichte und zurVerbesserung der mitgliedsstaatlichen Haushaltsdisziplin darstellen.

Wir Grüne sind für verbindliche Grenzen für öffentliche Schulden und für einen schärferen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Ebenso ist es notwendig, die Schuldenquote zu reduzieren. Die Berichte zur Reform des Paktes verschärfen richtigerweise die Haushaltsdisziplin der Staaten. Sie sind jedoch auf der Einnahmeseite blind und setzen einseitig auf Ausgabenkürzungen, um Schulden zu verringern. Damit werden die Lasten der Haushaltskonsolidierung vor allem auf den Schultern der Mittelschicht, der Geringverdiener und der Armen abgeladen. Außerdem drohen Zukunftsinvestitionen wie Bildung und erneuerbare Energien im Rahmen eines Grünen New Deals unter die Räder der Konsolidierung zu geraten.

Die dramatische Lage in den südeuropäischen Krisenländern verdeutlicht die Auswirkungen dieser einseitigen Austeritätspolitik: In Griechenland und Portugal ist die Arbeitslosigkeit von 2008 bis 2010 stark gestiegen, in Spanien hat sie sich im Vergleich zum Vorkrisen-Niveau von rund 11 Prozent (2008) fast verdoppelt auf rund 20 Prozent (2010). Außerdem lebt in Griechenland und Portugal mittlerweile ein Fünftel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. In Spanien ist die Anzahl der Menschen, die mit weniger als 530 Euro monatlich auskommen müssen,

innerhalb von drei Jahren um eine Million auf über neun Millionen gewachsen.

Die Grünen haben einen Ausweg aus diesem Dilemma vorgeschlagen: Die EU-2020-Ziele mit ihren Schwerpunkten Armutsbekämpfung, Klimaschutz und Bildung müssen genauso verbindlich werden wie die Vorgaben an die Mitgliedsstaaten zur Senkung ihrer Schulden. Die Lage in den Krisenstaaten mit steigender Arbeitslosigkeit und Armut verdeutlicht, dass nur Sparen nicht aus der Krise hinausführt, sondern Investitionen in die zuvor genannten Schlüsselsektoren und soziale Balance notwendig sind.

Eine Mehrheit aus Konservativen, Liberalen und Euroskeptikern hat diesen Vorschlag jedoch abgelehnt und so eine nachhaltige Reform zur effektiven Lösung der Krise verhindert. Das Economic Governance-Paket verschärft daher eine gescheiterte Austeritätsstrategie. Mit der Verabschiedung des Pakets hat die konservativ-liberale Mehrheit im EU-Parlament eine große Chance für einen Beitrag zu einer effektiven und nachhaltigen Lösung der Eurozonen-Krise vergeben.

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