Das flüchtende All

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 2 Min.

Lange schien es so, als könne sich wegen der von der Materie ausgehenden Schwerkraft die Expansion des Universums verlangsamen. Inzwischen jedoch wissen wir: Das Gegenteil ist der Fall, die Expansion beschleunigt sich. Das hat nicht zuletzt die Beobachtung von rund 50 weit entfernten Sternexplosionen (Supernovae) ergeben, für die drei Astronomen jetzt mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Eine Hälfte des Preises geht dabei an den US-Amerikaner Saul Perlmutter. Die andere Hälfte teilen sich Adam Riess (USA) und Brian Schmidt (USA, heute Australien).

Supernovae sind deshalb so interessant für die Forschung, weil sie häufig heller strahlen als eine ganze Galaxie. Misst man nun die Leuchtkraft und Rotverschiebung von Sternexplosionen, kann man daraus sowohl deren Entfernung als auch ihre Geschwindigkeit berechnen. Ursprünglich gingen die drei Preisträger davon aus, dass die kosmische Expansion nachlässt. In diesem Fall hätten die von ihnen beobachteten Supernovae heller erscheinen müssen als bei konstanter Ausdehnung. In Wirklichkeit war deren Licht aber schwächer.

Um die daraus abgeleitete beschleunigte Expansion zu erklären, haben Physiker die Dunkle Energie erdacht, die der Gravitation entgegenwirkt und die Galaxien auseinander treibt. Obwohl bisher niemand weiß, was dunkle Energie ist, nimmt man an, dass sie das Universum zu etwa 70 Prozent ausfüllt. Da weitere 25 Prozent mutmaßlich aus der ebenso rätselhaften Dunklen Materie bestehen, liegt der Anteil der uns vertrauten sichtbaren Materie bei nur fünf Prozent. Die Arbeit der drei Preisträger habe geholfen, »ein Universum zu enthüllen, das der Wissenschaft zu 95 Prozent unbekannt ist«, erklärte das Nobel-Komitee am Dienstag: »Damit ist alles wieder möglich.«

In ihrer Freude vergaßen die Laureaten freilich nicht zu erwähnen, dass sie in einer großen Tradition stehen. Denn schon 1917 hatte Albert Einstein, um ein statisches Universum zu erhalten, in seine relativistischen Gravitationsgleichungen die sogenannte kosmologische Konstante eingeführt, deren Wirkung etwa jener der Dunklen Energie entspricht. Später bezeichnete er diesen Schritt als die »größte Eselei« seines Lebens. Blicke man jedoch auf die Messungen von Perlmutter (55), Riess (41) und Schmidt (44), könne man sagen, »dass die kosmologische Konstante brillant war«, stellte die Nobel-Jury fest.

Das Schicksal des Universums ist damit aber recht trostlos geworden. Denn durch die fortwährende Ausdehnung wird es mit der Zeit immer leerer, dunkler und kälter. Zuletzt könnte nur ein Meer aus Strahlung und exotischen Elementarteilchen übrig bleiben. Fürwahr, kein schöner Ort, vor allem keiner für religiöse Endzeiterwartungen!

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