Zwischen Shisha und Eckkneipe

Neukölln hat viel zu bieten: arabische Straßen, Kaffeehauskultur, ein böhmisches Dorf

  • Sonja Vogel
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwölf Bezirke hat Berlin, 21 Stadtteile, unzählige Kieze. Aber welcher Kreuzberger besucht die Parks in Charlottenburg, welche Pankowerin eine Neuköllner Shisha-Bar? In loser Folge schauen wir in Berliner Ecken – vom Touristenmagneten bis zur Kneipe.
Böhmisches Dorf (o.) in Rixdorf
Böhmisches Dorf (o.) in Rixdorf

Der Neuköllner Ortsteil Neukölln ist ein Sorgenkind. Wenn der Kiez in die Schlagzeilen gerät, dann negativ: Gewalt an Schulen, Kinderarmut, Razzien in der Hasenheide. Aber Neukölln ist trotz der schwierigen sozialen Gemengelage schön. Für viele Zugezogene überraschend ist zum Beispiel der alte Stadtkern. Bis 1920 nämlich war Neukölln die eigenständige Stadt Rixdorf. Etwas abseits der Hauptverkehrsader Karl-Marx-Straße liegt Böhmisch-Rixdorf, 1737 von protestantischen Flüchtlingen aus Böhmen gegründet. Übrig geblieben sind die alte Schmiede auf dem Dorfplatz, Scheunen und Fachwerkhäuser.

Nur selten verirren sich Touristen dorthin und können ihr Glück kaum fassen: Ein böhmisches Dorf in der Großstadt. Die Stammgäste am obligatorischen Büdchen lässt das kalt. Ungerührt verzehren sie zwischen all dem Trubel ihre Pommes im Stehen. Unweit vom Richardplatz liegt der Saalbau – er ist ein Zeugnis für die kulturelle Blütezeit, die Neukölln in den 20ern erlebte. In jener Zeit war die Gegend bekannt für ihre Kinos, Tanzpaläste und Varie-tés. »In Rixdorf ist Musike...«, hieß ein beliebter Schlager. Auch heute gibt es noch regelmäßig Musik im Saalbau, und dort befindet sich auch das Café Rix. Mit Stuck und Spiegelwänden zieht es die Bohemiens an: Junge Leute mit Laptops sitzen dort neben mürrischen Stammgästen.

Keine zehn Minuten vom Saalbau entfernt liegt der Körnerpark. Mit seinem Wasserspiel, den großen Bäumen und umfangreichen Bepflanzungen zählt er zu den schönsten Parks der Stadt. 1916 entstand er in einer ehemaligen Kiesgrube, daher liegt der Park sieben Meter tiefer als das umliegende Wohngebiet. Im Wasserbecken planschen im Sommer Kinder, auf den abschüssigen Wiesen treffen sich die Nachbarn. Die restaurierte Orangerie beherbergt ein Café – früher schaute man von dort den Flugzeugen, die vom nahe gelegenen Flughafen Tempelhof starteten, auf den Bauch. Heute ist es dort eher still.

Wesentlich lauter geht es auf der viel befahrenen Sonnenallee zu. Hier dominieren arabische Schriftzeichen die Auslagen. Wer sich für kulinarische Genüsse aus Nahost interessiert, sollte die lange Straße vom Hermannplatz aus abwärts laufen. In den Cafés kann man Domino spielen und Wasserpfeife rauchen. Zu süßem Gebäck wird Schwarztee und Mokka aus langstieligen Kännchen gereicht. Verglimmen dort abends die letzten Shishas, dann erwacht die kleine Parallelstraße: die Weserstraße, das Herzstück des jungen Neukölln. Vom Hermannplatz bis nach Rixdorf reihen sich die Bars aneinander: Kuschlowski, Silverfuture, Freies Neukölln, Ä. Rundherum haben sich Künstler und Studierende angesiedelt. Die Szene liebt Abkürzungen, darum geht man nicht in die Kneipe Tristeza sondern ins Triste. Genervte Zugezogene der ersten Generation und Gentrifizierungsgegner sind nicht gut auf die Partymeile zu sprechen – der Beliebtheit tut dies keinen Abbruch. Und so zählt neben Türkisch und Arabisch auch das Spanisch der vielen Erasmus-Studierenden zur Verkehrssprache.

Wer genau hinschaut, entdeckt zwischen den neuen Bars Relikte des alten Neukölln, die Eckkneipen. Unter Namen wie Bierbaum IV oder Klapse bieten sie Hartz IV-Bier für einen Euro an. In Neukölln zumindest ist vom Berliner Kneipensterben, das oft beschworen wird, nichts zu spüren.

Neuköllner Oper
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