Philosoph

Béla Tarr - Der ungarische Regisseur erhält heute den Konrad-Wolf-Preis 2011

  • Lesedauer: 2 Min.

»Das Turiner Pferd« (The Turin Horse, 2011) ist der neue Film Béla Tarrs, inspiriert von Nietzsche: ein dunkles, in die Abgründe der Seele dringendes Endzeitgemälde, die Geschichte eines Kutschers und seiner Tochter, die auf einem einsamen Hof mitten in der Puszta leben und unablässig einem scharfen, kalten Wind ausgesetzt sind. Ein Film fast ohne Dialoge. Als den Menschen das Salz, das Licht und das Wasser ausgehen, brechen sie zur Flucht auf. Doch sie drehen sich im Kreis; nach einer Weile kehren sie wieder zurück. »Das Turiner Pferd« umfasst eine Spanne von sechs Tagen: dieselbe Zeit, die Gott brauchte, um die Erde zu erschaffen. Béla Tarr zeigt, wie diese Schöpfung nun zurückgenommen wird; alle Weichen stehen auf Tod und Verderben, um vielleicht einen neuen Anfang für die Menschheit zu ermöglichen.

Mit diesem auf der Berlinale preisgekrönten Film erwies sich Béla Tarr zum wiederholten Male als einer der ganz großen Philosophen unter den zeitgenössischen Kinoregisseuren, ebenbürtig einem Terrence Malick oder einem Lars von Trier. Dabei versteht er sich nicht als Pessimist, sondern als Realist: »Ich zeige, was ich um mich herum wahrnehme. Ich taste nach dem Drama des Lebens.« Schon in seinem Debüt, dem dokumentarischen Spielfilm »Familiennest« (1977), beschrieb der 1955 geborene Regisseur die Unfähigkeit zur Kommunikation. Seine Spezialität ist es, in langen, atmosphärischen Einstellungen mit konsequent minimalistischer Ästhetik zu skizzieren, wie sich Menschen in existenziellen Extremsituationen verhalten. Bei dem Meister der moralistischen Parabel taumelt die Welt stets am Abgrund, ob in einer verlassenen Bergwerkssiedlung (»Verdammnis«, 1989), in einer von Plünderern heimgesuchten Klinik (»Werckmeister Harmóniak«, 2001) oder in einem ungarischen Dorf (»Satantango«, 1993). Kino bedeutet für ihn Rhythmus, Licht, menschliche Blicke: »Alles Dinge, die uns viel tiefgründiger als Worte erklären können, was mit uns und in uns passiert.«

»Das Turiner Pferd« wurde von Ungarn für den Oscar vorgeschlagen, trotz der Kritik, die Béla Tarr an den neuen, rigiden Machtmechanismen in seinem Heimatland übte. Ralf Schenk

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