nd-aktuell.de / 20.10.2011 / Politik / Seite 2

Als Athen Deutschland Schulden erließ

Ein »Hair-Cut« könnte für Griechenland hilfreich sein - und neue Probleme schaffen

Kurt Stenger
Beim bevorstehenden EU-Gipfel wird erstmals auch über die Möglichkeit eines Schuldenschnitts für das Euro-Sorgenkind Griechenland diskutiert.

Während die Euro-Krisenstaaten mit horrenden Zinsen zu kämpfen haben, kann sich der Bundesfinanzminister über historisch niedrige Zinsen freuen, die der Bund Anleihekäufern zu bieten braucht. Es gab aber mal Zeiten, da hatte auch die Bundesrepublik ernsthafte Probleme mit der Staatsverschuldung. Nach 1945 wäre der junge westdeutsche Staat mit der Bedienung der Ansprüche vor allem von Frankreich, England und den USA, denen das Nazi-Reich im Krieg die Zahlungen verweigert hatte, überfordert gewesen. Es kam zu Verhandlungen, die auf bundesrepublikanischer Seite vom späteren Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs geleitet wurden, und 1953 zum Londoner Schuldenabkommen: Dieses sah einen Schuldenschnitt um etwa 46 Prozent vor. Zu den Unterzeichnern des Abkommens, die dadurch auf Ansprüche verzichteten, gehörte 1953 auch - Griechenland.

Es ist nicht bekannt, ob Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) dies nun zur Kenntnis genommen hat - jedenfalls scheinen sich er und Amtskollegen in anderen Euro-Staaten mit der Idee eines Schuldenschnitts, der neudeutsch »Hair-Cut« genannt wird, für Griechenland zu anzufreunden. Beim bevorstehenden EU-Gipfel soll dem Vernehmen nach über die Möglichkeit eines Haarschnitts von mindestens 50 Prozent für Athen beraten werden. Dort betragen die Staatsschulden mittlerweile etwa 150 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, was selbst einem wirtschaftlich gesunden Land Probleme bereiten würde. Vor allem aber sind die Schulden in den letzten Monaten weiter massiv gewachsen, obwohl das im Mai 2010 geschnürte erste Kreditpaket durch EU und Internationalen Währungsfonds (IWF) die nötige Zeit bringen sollte, Athens Staatsfinanzen auf einen Konsolidierungspfad zu bringen. Die Sparpolitik erweist sich als ruinös.

Ein 50-prozentiger Hair-Cut hätte den positiven Effekt, dass die Schuldenlast auf Dauer halbiert wird. Vor allem aber würden sofort deutlich geringere Zinszahlungen fällig, wodurch das Haushaltsdefizit sinken würde. Trotzdem lehnt ausgerechnet die griechische Regierung einen Schuldenschnitt ab - nicht nur, weil man dann über Jahre von den Kapitalmärkten abgeschnitten wäre. Auch könnte das Haushaltsdefizit kurzfristig noch wachsen: Wenn nämlich die finanzschwachen griechischen Banken durch diese Maßnahme ins Straucheln geraten, wäre der Staat finanziell in der Pflicht - entweder indem er die Banken mit Eigenkapitalspritzen verstaatlicht oder indem er für die Spargroschen der Bürger geradesteht.

Vor allem aber bringt ein Schuldenschnitt einem Staat mit chronischen Defiziten auf Dauer nichts - bald wären die Schulden wieder so hoch wie vor dem Hair-Cut. Nötig wäre also zusätzlich eine solidere Staatsfinanzierung. Höhere Steuern für Reiche, deren Geld aber erst mühsam in Steueroasen gesucht werden müsste, könnten die Defizite senken helfen. Kredite müssten auf längere Sicht die Euro-Partner zinsgünstig bereitstellen. Darüber hinaus benötigt Griechenland eine Wachstumsperspektive, die nicht von alleine kommen wird. Gerade dabei könnte man von der Nachkriegsbundesrepublik lernen: Erst der vom Ausland bereitgestellte Marshall-Plan legte den Grundstein für das damalige Wirtschaftswunder.