Fatale Lust am Foto

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Gaddafi in einer Abwasserröhre, Saddam Hussein in einem Erdloch. Der eine unter offenbar jammerndem Beben erschossen, der andere - später, nach Rasur und Prozess - unter unwürdigen Beschimpfungen ins Loch unterm Strang gestoßen. Erinnerung: Die Ceausescus hatten plötzlich kugelzersiebt in einer Hofecke gelegen. Eine weitere Geschichtssekunde: Mussolini und seine Geliebte hingen einst tot und kopfüber an einer Tankstelle.

Am erbärmlichen Ende von Diktatoren und abgeschmackten Zurichtungen ihrer Leichen lässt sich so trefflich wie erschreckend studieren, wie der Gerechtigkeitswunsch mit der Rachelust kumpelt. Und mehr und mehr wird das Handy zum filmenden Instrument wider letzte Schleier einer Pietät, die womöglich stärker ist als die Geilheit auf martialische Bilder. Womöglich? Diese Pietät ist niemals stärker. Und so kommt, wenn uns der letzte, flatternde Blick eines Menschen trifft, etwas auf, das wir im Falle politischer Taugenichtse auf keinen Fall Mitgefühl nennen wollen. Aber es hat, ob wir mögen oder nicht, damit zu tun.

Frau Merkel freute sich in offene Mikrofone hinein, als Osama Bin Laden quasi in sein eigenes Blut versenkt wurde. Nun, ob Gaddafis Tod, wird erneut gejubelt. Und wieder findet ein Volk keine Balance zwischen einem gesitteten Ausdruck für befreites Aufatmen und dem Instinkt der Lefzen, die auch beim Menschentier triefen wollen: Fotos vom sich totblutenden libyschen Tyrann sind Trophäen, sind Volksfest geworden.

So setzt sich paradoxerweise jene politische Brutalität, die Diktatoren schafft, die sie hält, sie mächtiger und mächtiger macht, bis in den Moment fort, die sie irgendwann endlich aus der Geschichte schlägt. Es ist eine Brutalität, die ihren Eigenausdruck nie zu kaschieren versuchte. Diesen unbegreiflichen Stolz der Amoralität, die sich Fotokameras wie Waffen hält, nannte die US-Schriftstellerin Susan Sontag einen »Grundausdruck von Pornografie«. Er lebt in den Bildern, die deutsche Soldaten bei Hinrichtungen an der Front »schossen«, er lebt in den Szenen des irakischen Miliärgefängnisses von Abu Ghraib, er lebt in den Aufnahmen von Gaddafi - und just diese Fotos sorgten sich sehr um eine Ästhetik, die nicht Sterben zeigt, sondern Verrecken.

Fotografie weckt im Menschen das Bedürfnis, eine Art Patronat über die Realität auszuüben. Fotografie ist der Wille, einen Status quo zu verewigen. Wer seine Opfer demütigend fotografiert, feiert auf diese Weise einen Sieg, der das eigene Machtbedürfnis offenbart. Das wichtigste Kriterium für Öffentlichkeit ist zudem der Grad des Schamlosen geworden. Schon ist jeder Paparazzo ein Diener der moralischen Enthemmung; jede Überwachungskamera fungiert objektiv als voyeuristische Stimulation; jede sicherheitspolitische Observation steigern die Wolllust der geheimen Kontrolleure.

Dies alles führt nicht automatisch ans Ende des Humanen, wie es jüngste Bilder aus Libyen offenbarten. Aber das Propagieren ungezügelter individueller Freiheit in gefährlicher Berührung mit ebenso ungezügelter staatlicher Amoralität (wie sie ein Krieg oder eine politische Tyrannei unweigerlich darstellen) - dies unterhöhlt jede natürliche Abschreckung vor sadistisch angewehtem Entgleisen.

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