Beethoven war unser

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Beethoven war unser

Seit Sonnabend haben die Besitzverhältnisse am Leichnam eines gewissen W. Brandt aus Unkel bei Bonn gewechselt. Ein gewisser G. Gysi rief öffentlich aus, die strittige Sache gehöre »ab heute« »uns«. Wer konkret die Eigentumsrechte anmeldete, blieb bis Redaktionsschluss unklar. Da besagter Gysi sich jedoch als »Zentrist« vorstellte (siehe W.I. Lenin »Die Proletarische Revolution und der Renegat Kautsky«), sehen sich offenbar die Zentristen als Brandt-Eigner, wie man sie analog zu Eignern von Yachten und Rennpferden nennen kann. Zentristen hat nicht nur die LINKE - Zentralafrika ist voll von ihnen, auch die Telekom-Zentrale, und man findet sie in der Bewegung der »Zentralschläfer« (Männer, die sich aufgrund ihrer bisexuellen Neigung nicht entschließen können, den »männlichen« Teil des Ehebettes einzunehmen, sondern auf der Mittelritze ruhen).

Juristisch in trockenen Tüchern ist der Eigentümerwechsel noch nicht. Denn wo kein alter Eigentümer, da kein neuer. Beide Seiten müssten zur sogenannten Auflassung (§ 925 BGB) beim Notar erscheinen und sich die Hände reichen. Dies wissend, hat RA Gysi als bisherige Eigentümerin W. Brandts die SPD benannt und ihr - unter großer emotionaler Anteilnahme seiner enthusiasmierten und emanzipatorischen Zuhörerschaft - diesen streitig gemacht. W. Brandt der SPD anzuhängen, geschah mit einem gewissen Gewohnheitsrecht - schließlich hatte die ihn als »Ehrenvorsitzenden auf Lebenszeiten« auf dem Halse, mit Beendigung seiner Lebenszeiten ist er dort jedoch nicht wieder aufgetreten.

Offenbar versucht G. Gysi den symbolschweren Händedruck zwischen ihm (als Beauftragtem W. Piecks) und S. Gabriel (als Beauftragtem K. Schumachers) vor dem Notar zu umgehen. Denn er hebt auf die von Artikel 14 Grundgesetz in die Welt gesetzte Bauernregel ab, dass Eigentum verpflichte. Und zwar zu irgendwas, was bis heute nicht genau geklärt ist. Weil W. Brandt sich für den Weltfrieden echauffiert habe, hätte dies die SPD als Nutznießerin Brandts ihm gleichtun müssen. Tut sie aber nicht. Sie habe somit ihr Eigentum an besagtem Brandt moralisch verwirkt. Dieses müsse entweder umgehend verstaatlicht oder in Volkseigentum überführt werden - und da ist es bei der LINKEN gerade richtig.

Das erinnert mich an eine der zahlreichen Peinlichkeiten meines Lebens. 1970 hatte Beethoven 200. Geburtstag. Der für Kultur zuständige Sekretär der Geraer SED-Bezirksleitung wünschte sich in der »Volkswacht« einen Artikel, mit dem die Eigentumsrechte der deutschen Kommunisten an Beethoven klargestellt würden. Der Kulturredakteur wurde vor Schreck krank, in der Redaktion verblieb nur ich, der Volontär. Wenig später erschien aus meiner Edelfeder der seitenfüllende Text »Beethoven ist unser!«: Beethoven habe durchweg mit der Absicht komponiert, dem Frieden zu dienen, was den deutschen Imperialisten ein Misston im Gehörgang sei - deshalb sollten sie ihn hergeben, den Ludwig van, und zwar schleunigst. Ein Leserbrief, der die Vermutung äußerte, der Autor sei von Sinnen, wurde nicht veröffentlicht, sondern vermutlich anderweitig beantwortet.

Wer W. Brandt, den glühenden Antikommunisten, haben will, sollte wissen, dass die Grabpflege aufwändig wird. Es ist nicht nur die Überführung der sterblichen Überreste in einer Prozession von Unkel nach Potsdam-Sanssouci. Man muss ihm eine Traditionsecke im Karl-Liebknecht-Haus einrichten. Vor Übertreibung ist zu warnen. Vor nicht zu langer Zeit wollte die LINKE den kommenden Sozialismus gänzlich als »Sozialismus in den Farben W. Brandts« (Wodka, Whisky, Weinbrandt) einrichten. Jetzt will sie nur noch seine friedliche Seite. Außerdem ist die Witwe Brigitte davor! Die brachte es zu Lebzeiten des Gatten fertig, Gorbatschow, der ihn besuchen wollte, am Gartentor abzuwimmeln, weil sie ihn nicht kannte. So könnte es auch der LINKEN gehen.

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