nd-aktuell.de / 28.10.2011 / Wissen / Seite 16

Hispanistik? Kann wegfallen!

In der unternehmerischen Hochschule ist für die Geisteswissenschaften kaum noch Platz

Jochen Mattern
Hispanistik? Kann wegfallen!

Christoph Heins jüngster Roman »Weiskerns Nachlass« spielt im akademischen Milieu. Die Hauptfigur, Rüdiger Stolzenburg, ist ein typischer Vertreter des akademischen Prekariats. Am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig hat er eine Assistenzdozentur für Literatur und Kunsttheorie inne. Nach fünfzehn Jahren muss er die Hoffnung, seine halbe Stelle könne in eine volle Stelle umgewandelt werden, endgültig begraben. In seinem Alter, muss er sich anhören, belaste er bloß die Pensionskasse. Einer Beförderung Stolzenburgs widerspricht vor allem aber die schwierige Lage des Institutes. Dem unternehmerisch denkenden Universitätsrat gelten die Kulturwissenschaften als eine Belastung. Statt Geld einzubringen kosten sie bloß. Sponsoren können sie keine aufweisen und die so begehrten Drittmittel werben sie kaum ein. Dem Institut droht deshalb die Schließung. Für Stolzenburg bedeutete das die vorzeitige Pensionierung. Seine halbe Stelle wird bereits mit dem Haushaltsvermerk »kw« geführt. Sie »kann wegfallen«, heißt das und dass es keine Neubesetzung geben wird. Ablehnung erfährt Stolzenburg auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie bewilligt keinen seiner wiederholt gestellten Anträge auf Förderung seines Forschungsvorhabens. Die DFG fördert in erster Linie prestige- und gewinnträchtige Forschungsprojekte, sogenannte Leuchttürme. Die Herausgabe von »Weiskerns Nachlass«, eines »kleinen sächsischen Topographen in Wien«, der Libretti für Mozart verfasst hatte, gehört nicht dazu. Sein Weiskern und er, das sieht Stolzenburg ein, sind »nicht vermarktbar«. So steht es wörtlich im Roman. Und mangels anderweitiger Einkünfte, was das Misstrauen des Finanzamtes hervorruft, versucht er sich notgedrungen weiter über Wasser zu halten mit der halben Stelle, gelegentlichen Vorträgen, Aufsätzen und Rezensionen. Allein auch diese Möglichkeiten, sich einen kleinen Nebenverdienst zu erwerben, werden immer spärlicher.

Christoph Heins Darstellung des akademischen Milieus, betont einer der Roman-Rezensenten, sei kein Originalton aus der Universität Leipzig des Jahres 2011. Insofern es sich um ein literarisches Geschehen handelt, trifft das zweifellos zu. Der Roman zeichnet jedoch ein höchst realistisches Bild von der universitären Wirklichkeit hierzulande. Das belegt ein Blick in den »Hochschulentwicklungsplan« des Sächsischen Wissenschaftsministeriums. Den Hochschulen im Freistaat gibt die auf zehn Jahre angelegte Planung einen verbindlichen Finanz- und Personalrahmen vor. Innerhalb des gesetzten Rahmens entscheiden die Hochschulen selbst über die Verwendung der Mittel und das jeweilige Fächerprofil. Darüber hinaus können sie durch unternehmerische Aktivitäten eigene Mittel erwirtschaften, um z.B. zusätzliches Personal zu gewinnen.

Das werden die sächsischen Hochschulen dringend brauchen, denn ihnen steht ein gewaltiger Stellenabbau bevor. Bis 2020 sollen insgesamt 715 Stellen abgebaut werden. Ab 2013 sind das jährlich 100 Stellen und von 2016 an 83 Stellen pro Jahr. Dazu kommen weitere 327 »kw«-Vermerke, die laut Haushaltsplanung zu realisieren sind. Christoph Heins Romanheld hätte unter diesen Umständen keine Aussicht, seine Dozententätigkeit bis zum Erreichen des Rentenalters auszuüben. Vielleicht böte ihm die Universität an, so der Bedarf vorhanden ist, die eine oder andere Vorlesung auf Honorarbasis zu halten. Das ist an den Hochschulen längst eine übliche Praxis. Ganz in diesem Sinne verlangt der »Sächsische Hochschulentwicklungsplan« von den Hochschulen die vermehrte Einbeziehung von Honorarprofessoren und Privatdozenten in den Lehrbetrieb und die Nutzung von Alumni-Netzwerken. Eigens dafür will man das Sächsische Hochschulgesetz ändern.

Über Sinn und Zweck der Beziehungspflege zu den Alumni gibt der Roman Auskunft. Der regelmäßig von der Universität veranstaltete Alumni-Tag dient dazu, die Spendenbereitschaft erfolgreicher Absolventen anzuregen. Davon erhofft sie sich eine Aufbesserung ihres Etats. Als Stolzenburg von der Institutsleitung gebeten wird, an diesem Tag den Festvortrag zu halten, lehnt er das entrüstet ab. Er, der nur eine halbe Stelle habe, könne nicht unentwegt Arbeiten für das Institut übernehmen, ohne dass sie honoriert werden. Die Personaleinsparungen und die Zunahme prekärer Beschäftigung an den Hochschulen sind die Folge von deren struktureller Unterfinanzierung. Das Land zieht sich aus seiner Verantwortung zurück und übergibt die Hochschulen und Forschungseinrichtungen einer Steuerung über betriebswirtschaftlich bestimmte Leistungsindikatoren.

Darunter leidet die Grundfinanzierung der Hochschulen. In Sachsen betragen die laufenden Grundmittel für Lehre und Forschung pro Student 6602 Euro. Damit liegt der Freistaat deutlich unter dem Durchschnittswert der westdeutschen Flächenländer, die auf 8871 Euro kommen. In einem Brief an die Wissenschaftsministerin weisen die Hochschulrektoren darauf hin, dass eine bundesweit agierende Hochschule einen Zuschuss von 12 000 Euro pro Student benötige. Im internationalen Vergleich seien sogar 24 000 Euro nötig. Eine entsprechende Erhöhung der Grundmittel kostet den sächsischen Haushalt jährlich 400 Millionen Euro. Mit Verweis auf die schwierige Haushaltslage empfiehlt der »Sächsische Hochschulentwicklungsplan« den wissenschaftlichen Einrichtungen, die eigene Mittelakquisition bzw. Mittelbeschaffung zu verstärken, Fundraising also zu betreiben. Wie das Romanbeispiel zeigt, begünstigt diese Finanzierungsstruktur die Einnahmen durch Drittmittel. Sie benachteiligt hingegen die drittmittelarmen Geisteswissenschaften. Es überrascht denn auch nicht, dass in Leipzig die Politikwissenschaft und die Hispanistik in Dresden zur Disposition stehen.

Mit dieser Art der Finanzierung steht der traditionelle Gelehrtentypus, wie ihn Christoph Heins Romanfigur, Rüdiger Stolzenburg, verkörpert, zur Disposition. Dieser pflegt einen intellektuellen Stil als Lebensform, der das Hervorbringen von wissenschaftlichen Innovationen ermöglichen soll, ohne sogleich auf deren Vermarktungsmöglichkeit zu schauen. An seine Stelle tritt in der unternehmerischen Hochschule der Wissenschaftsmanager. Dieser neue Akademikertyp, überdurchschnittlich agil und aktiv, hat eher die Anforderungen von Märkten und den kurzfristigen Gewinn im Auge. Permanent mit dem administrativen Geschäft der Universität befasst und stets auf der Suche nach Drittmitteln bleibt ihm kaum noch Zeit zu selbstständiger Forschung. Das beeinträchtigt wiederum die Lehre, die ja gerade eine enge Beziehung zur Forschung aufweisen soll. In Konflikt miteinander geraten außerdem die Freiheit von Wissenschaft und Forschung und die Anforderungen des Marktes und des ökonomischen Wettbewerbs.

Dass Rüdiger Stolzenburg partout kein Unternehmer-Professor werden will, macht seinem Namen alle Ehre.