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Traumhaftes Spektakel

Jan Bosse inszeniert am Berliner Gorki Theater »Das Käthchen von Heilbronn«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Kleists »Käthchen von Heilbronn« wäre, wenn man nicht energisch seine harte Historienschale knackte, um zum traumhaften Märchenkern vorzustoßen, ein völlig unspielbares, zudem ein gänzlich uninteressantes Stück. Wollte man jemanden dazu verurteilen, die Handlung minutiös nachzuerzählen, wäre das eine überaus harte Strafe. Also: ab in die Mitte, zum gluthaften Verwandlungskern von Kleists höchst irdischem Heiligenstück, wo selbst die hilfreichen Engel wie eine besonders exzentrische Hervorbringung menschlichen Erfindungsdranges wirken, abzüglich natürlich des sowieso immer Unerklärlichen.

Worum handelt es sich? Um Botschaften, vorzüglich Briefe, die eigensinnig eigene Wege gehen, dabei den Inhalt der ihnen übergebenen Botschaften nach Gutdünken verändern. Was man aus der Hand gibt, das beginnt ein Eigenleben zu führen und wenn man dem Boten samt Botschaft irgendwann wiederbegegnet, hat man immer Anlass zu erstaunen. Über Kleists phantastische Geschichtsauffassung also ist zu reden.

Regisseur Jan Bosse und sein Hauptdarsteller Joachim Meyerhoff sind ein ideales Paar, den absurden Kern in aller historischen Vernunft bloßzulegen. Aber der Wahn hat einen tieferen Sinn! Mit Meyerhoff, der seit einigen Jahren am Burgtheater engagiert ist, kehrt ein Schauspieler, Autor und Regisseur der wunderlichsten Art ans Gorki Theater zurück, dem zuzuschauen die reine Freude ist - eine, die sich auch auf seine Mitspieler überträgt! Legendär sind Meyerhoffs genial-obskure Inszenierungen an diesem Haus während der Ära des Intendanten Volker Hesse: »Sauna«, »Marathon« oder »Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?« Bei dem geistverwandten Jan Bosse spielte er in Hamburg bereits »Warten auf Godot« und »Faust I« - übermütige Klassiker-Tiefflieger der gefährlichsten Sorte. Diesen bösen Spielwitz habe ich in der zunehmend langweiligen Berliner Theaterlandschaft lange und gründlich vermisst!

Nun sind sie da - und es wird sofort zum Ritterspektakel der schwärzesten Sorte. Meyerhoff als Graf Wetter vom Strahl: ein Ritter, der eigentlich vor nichts Angst hat, nicht einmal vor einem durchaus möglichen Mangel an Geisteskraft - wozu hat er schließlich Schwert und glänzende Rüstung! Und doch lehrt ihn jemand das Fürchten, wie bei Wagner Brünnhilde den Helden Siegfried das Fürchten lehrt! Das Weib ist ihm nicht geheuer - und das Käthchen (beharrlich in ihrer geisterhaft-mädchenhaften Mission: Anne Müller) aus diesem Heilbronn, an das sich der Ritter gar nicht mehr erinnern kann, verfolgt ihn wie ein Gegner, dem er - das ahnt er von Anfang an - trotz aller Drohgebärden nicht gewachsen sein wird. Sie klebt an ihm, er kann sie nicht abschütteln, so sehr er auch mit seiner Rüstung klappert und den Muskeln spielt, seine langen Haare hin und her wirft, dabei den Diener Gottschalk (mit der müden Klugheit aller Knechte: Matti Krause) anherrscht: »Führ mir mein Pferd vor, ich möchte jetzt reiten.« Es ist eine einzige Fluchtbewegung dieses Möchtegern-Machos, eine umwegreiche Traumreise der Geschlechter zueinander, die ihn über den Irrtum Kunigunde (das Prinzip Weib als Berechnung: Sabine Waibel) zu sich selbst führt.

Meyerhoff spielt diesen Ritter vom Strahl ganz so, wie der Name es assoziiert: weniger licht- als urinstrahlhaft. Das da könnte auch der Vorbrüller einer Fußballfanclique sein, oder der nervige Held aller Stammtische. Aber ganz tief drinnen, unter all den Kraftgebärden verborgen, liegt jenes zarte Pflänzchen, dem das Käthchen zur Gärtnerin vorbestimmt ist. Gefühl? Seele? Liebe? Dagegen revoltiert er nun so lange, bis passiert, was passieren muss, wenn man immer nur an eines denkt: Er ist vom Käthchen besessen und in seiner grobgehauenen Art doch ganz und gar hilflos linkisch.

Es gibt noch reichlich Personal in diesem Märchen für Erwachsene; der Abirrungen und Seitenwege in diesem dunklen Zauberwald der Selbsterkenntnis sind einige. Bosse nimmt Kleists Aufsatz über das Marionettentheater beim Wort und lässt die Puppenspielergruppe »Das Helmi« auf die Bühne - was dem Ganzen jene unangestrengte Gratwanderung zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit gibt (Kunigunde, so lässt uns Kleist schließlich wissen, ist nicht echt!), die Kleist so beschäftigte! Die hier beschworenen himmlischen Kräfte befinden sich in einer paradoxen Situation: »Der Himmel ist ein Ort, wo gar nichts los ist.«

Ob wir hier auf dem Jahrmarkt sind oder in der Kirche, eine Heiligenlegende zelebriert oder ein Kriminalstück gegeben wird, das ist alles einerlei: die Magie des Augenblicks sucht sich immer die banalste Pointe, die Ausweglosigkeit in all unserer mühsam erlangten Freiheit zu demonstrieren. Alles ist ohnehin vorbestimmt, so wie die wundersame Rettung Käthchens aus einem brennenden Haus? Nein, irgendwann endet der eine Traum und beginnt der andere - und Kleist ist immer dabei, wenn wir uns an den Kopf fassen und stöhnen: Das gibt es doch nicht! Doch, doch, das gibt es alles, zum Glück auch heute noch.

Nächste Vorstellung: 6.12.

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