Keine Insel im Rechtsstaat

Sachsen-Anhalts Landtag spricht sich gegen Vertreibung zweier Ex-Straftäter aus und kritisiert involvierten Bürgermeister

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Sachsen-Anhalts Landtag verurteilt die angestrebte Vertreibung zweier Ex-Straftäter aus dem Dorf Insel. Die CDU rückt vom dortigen Bürgermeister ab. Um den Konflikt zu lösen, wird mehr professionelle Hilfe gefordert.

Das Dorf Insel war bis vor wenigen Wochen auch innerhalb Sachsen-Anhalts kaum bekannt. Dann begann in dem 400 Einwohner zählenden Ort eine vom Bürgermeister angestachelte Kampagne, mit der zwei nach Haft und Sicherungsverwahrung in den Ort gezogene ehemalige Sexualstraftäter vertrieben werden sollen. Mittlerweile droht in dem Altmarkdorf ein gefährliches Exempel statuiert zu werden. Dort würden »selbstverständliche Grundlagen unseres Gemeinschaftsverständnisses in Frage gestellt«, sagt Sachsen-Anhalts LINKE-Fraktionschef Wulf Gallert. Stelle man sich den Vertreibungsplänen nicht entschiedener entgegen, drohe dem Rechtsstaat ernsthafter Schaden: »Dann werden wir bald sehr viele Inseln haben.«

Neue Demos angekündigt

In einer von der LINKEN beantragten Aktuellen Debatte befasste sich der Landtag gestern zum zweiten Mal binnen eines Monats mit den Vorfällen in Insel. Im Oktober hatte das Parlament in sehr seltener Einmütigkeit das Recht der entlassenen Straftäter auf einen Neuanfang bekräftigt und appelliert, die Chance auf eine Resozialisierung zu nutzen. Zugleich jedoch hatte der CDU-Innenminister unter dem Druck der Straße die beiden Männer dazu gebracht, schriftlich in einen Wegzug einzuwilligen. Seither gab es Bemühungen, eine neue Bleibe zu finden - allerdings ohne Erfolg. Vergangene Woche kündigte Bürgermeister Alexander von Bismarck, ein CDU-Mann, deshalb an, die Demonstrationen im Ort fortzusetzen. An diesen hatten zuletzt neben vielen aufgestachelten Bürgern des Dorfes zeitweilig auch Rechtsex- treme teilgenommen - mit Billigung des Bürgermeisters.

Wegen der Beiträge zur Eskalation wurde von Bismark im Landtag scharf angegriffen. Von einem »offensichtlich überforderten, seiner Verantwortung nicht gerecht werdenden« Politiker sprach CDU-Landtagspräsident Detlef Gürth. CDU-Ministerpräsident Rainer Haseloff warf von Bismarck vor, als Vertreter der Demokratie »in einer Bewährungssituation zu versagen und zum Populisten zu mutieren«. Der CDU-Landesvorstand hatte in einem offenen Brief an den Politiker besonders dessen Paktieren mit den Rechtsextremen gegeißelt und eine Prüfung angekündigt, ob sein »Verhalten noch mit dem Statut der CDU vereinbar« sei. Grünen-Fraktionschefin Claudia Dalbert sagte gestern, von Bismarck sei »nicht würdig«, CDU-Mitglied zu sein. Sie forderte zudem die Regierung auf, ein Disziplinarverfahren gegen den Ortspolitiker zu prüfen. Dieser sei »Zentrum und Organisator« der Vertreibungspläne.

Diesen Bestrebungen dürfe nicht nachgegeben werden, forderten vor allem LINKE und Grüne ausdrücklich. Anderenfalls drohe mit dem Sieg der Straße eine »Erosion von Demokratie und Rechtsstaat«, sagte Gallert, der angesichts der Tragweite des Falles das zu lange Schweigen des Regierungschefs kritisierte. Haseloff sprach gestern von einer »Bewährungsprobe« für die Demokratie, betonte jedoch auch, es gebe »keine einfache Lösung per Dekret von oben«.

Moderation gefordert

Dass die Politik allein eine Lösung finden kann, bezweifelt auch Katrin Budde, die Chefin der SPD-Koalitionsfraktion. Sie bezeichnet es aber als »Fehler«, dass bisher zu stark auf politische Bemühungen hinter den Kulissen vertraut wurde: »Es hätte mehr professionelle Hilfe gebraucht.« Eine solche Moderation müsse jetzt beginnen.

Unklar ist nach Ansicht Buddes, ob eine Moderation den Ex-Häftlingen einen Verbleib in Insel ermöglichen kann. Auch der CDU-Fraktionschef André Schröder glaubt, das von beiden Männern in Insel erhoffte Leben in Ruhe sei »nicht mehr möglich«. Dagegen betont Dalbert, es gebe »keine Lösung außer in Insel«. Wenn der Rechtsstaat - zu dessen Grundprinzipien das Recht auf eine freie Wohnortwahl gehört - verteidigt werden solle, dann müsse das in dem Ort geschehen. Man habe die Wahl, sagt Gallert: »Knicken wir ein, oder nehmen wir es als Herausforderung an.«

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