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Unerschütterliche Liebe

Jenny – die tapfere Lebensgefährtin von Karl Marx

  • Martin Hundt
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich bin ich zu alt, um beim Lesen eines Buches zu Tränen ergriffen zu sein; eigentlich kannte ich längst sämtliche der angeführten Zitate und Briefstellen. Aber was heißt »eigentlich«? Wen das Leben dieser Frau, ihre unerschütterliche Liebe, ihr tiefes Verständnis für das komplizierte wissenschaftlich-revolutionäre Werk ihres Mannes, wen das entsetzliche Leid und Elend, das sie durchleben musste, nicht aufs Tiefste ergreift, der sollte sein menschliches Empfinden gründlich überprüfen.

Ulrich Teusch, Professor in Kassel und Globalisierungskritiker, hat das Leben dieser einzigartigen Frau nicht nur gründlich recherchiert und aus den Quellen lebendig werden lassen, er hat es mit Sympathie und psychologischem Sachverstand durchdacht und dadurch für heute erlebbar gemacht. An mitunter kryptischen Briefstellen über schwierigste Lebensumstände sucht er mit viel Einfühlungsvermögen den »Subtext« und findet so, oft im Gegensatz zu älteren Auslegungen, natürliche, menschlich sympathische Erklärungen. Ein sehr schönes Buch, nur den Titel hätte sich Jenny Marx verbeten.

Ein wenig zu viel ist sie bei Teusch noch das Hausmütterchen. Tatsächlich ging sie, an der Seite ihres Mannes, in der Teilnahme an der politischen Bewegung oft bis an die Grenze des damals Möglichen. So trat sie in der Silvesterveranstaltung 1847 des Deutschen Arbeiterbildungsvereins in Brüssel mit »genialem Deklamationstalent« auf. Die Teilnahme von Frauen an politischen Veranstaltungen galt damals selbst in fortschrittlichen Arbeiterkreisen als gewagt und war noch Jahrzehnte später polizeilich verboten. Die Redaktion der »Deutschen-Brüsseler-Zeitung« gab im Bericht zu Jennys Auftritt die Fußnote: »Es macht einen wohlthuenden Eindruck, wenn man ausgezeichnete Frauen für die Ausbildung des Proletariats wirken sieht, also ein nachahmungswürdiges Beispiel gebend.«

Am Todestage ihres Lieblingssohnes aus einem Londoner Elendsquartier buchstäblich auf die Straße geworfen zu werden, ist wohl ein Tiefpunkt menschlichen Daseins, der sogar in Dantes Hölle nicht vorkommt. Davon nicht völlig gebrochen zu werden, ist die eine Seite der Größe von Jenny Marx, die andre ihr zutiefst erlittenes Verständnis für die Bedeutung des Lebenswerks ihres Mannes, dessen Zustandekommen letzten Endes ja doch mit dem Elend der Familie erkauft werden musste.

Beim Lesen des vorliegenden Buches erinnerte ich mich eines Gesprächs von 1968 mit der Antifaschistin Luise Dornemann, die mich damals jungen Mann bat, eine Rezension zu ihrer soeben erschienenen Jenny-Biografie zu schreiben, da sie bei einigen älteren »erfahrenen Genossen« abgeblitzt war, denn ihr Buch entstand nicht als »zentrales Planprojekt«, sondern aus innerstem eignen Gefühl. Mit diesem Gefühl aber stand Luise Dornemann damals nicht allein, das war das ehrliche Gefühl von Millionen.

In seiner »Kurzen Vorbemerkung« sorgt sich der Autor um das Vergessenwerden der Menschen aus Marx’ Umfeld. Bei der Tochter Eleanor ist diese Sorge umsonst, da gibt es Bücher in verschiedenen Sprachen, und bei Marx’ Frau hat er selbst mit dem vorliegenden Buch wirkungsvoll gegengesteuert. Jedoch fehlt hier der Hinweis, dass seine Sorge in der DDR und der Sowjetunion gegenstandslos gewesen wäre. Nahezu jedes zweite Jahr erschien (trotz Papierknappheit) eine neue Auflage von Dornemanns schöner Biografie. Jenny Marx war so etwas wie die Schutzheilige der Gleichberechtigung der Frauen. Dutzende Kindergärten, Schulen usw. trugen ihren Namen, in ihrem Geburtshaus in Salzwedel hatte sie ihr eignes Museum. Dem ist nicht mehr so. In dieser Hinsicht ist tatsächlich Sorge ums Vergessenwerden angebracht.

Warum eigentlich gibt es noch kein Buch mit all den überlieferten Texten von Jenny Marx? Wäre nicht sie selbst mit ihrer erstaunenswerten Sprachbeherrschung ihre eigne beste Fürsprecherin? Könnte nicht die vollständige Edition ihrer wunderbaren Briefe, ihres Memoiren-Entwurfs, ihrer Theaterkritiken das beste Bollwerk gegen drohendes Vergessen sein? Bis zu ihrem 200. Geburtstag ist nicht mehr viel Zeit!

Ulrich Teusch: Jenny Marx. Die rote Baronesse. Rotpunktverlag, Berlin. 230 S., geb., 19,50 €

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