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Vita brevis

Erwin Koch erzählt Liebesgeschichten

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Zu diesem Buch passt ein altertümlicher Begriff: Zu Herzen gehend. Geradezu archaisch in ihrer Wucht wirken die Geschichten, die Erwin Koch erzählt, obwohl einige von ihnen fast in unserer unmittelbaren Gegenwart spielen. Warum scheinen sie uns so außergewöhnlich? Ist in der eigenen Umgebung denn noch nie Ähnliches passiert? Vielleicht haben wir da nur die Achseln gezuckt: Schlimm. Wollten uns nicht ablenken lassen vom eigenen Tageslauf.

Was Erwin Koch gelingt: die Unterbrechung. Wir müssen, wenn wir dieses Buch lesen, heraus aus der Hast. Wir müssen uns besinnen. Alle Menschen, von denen wir erfahren – es sind ja »wahre Geschichten« – haben das Glück so ersehnt wie wir. Das Sehnen strahlt aus dem Buch, ohne dass der Autor dafür gefühlvolle Worte finden müsste. Geradezu lakonisch beschreibt er, wie sie sich fanden: Alois und Annely am 19. November 1950 in Luzern – sie Köchin, er Laufbursche –, Angela und Andrei in Mingir (Moldawien), Melanie und Leo in Füelen (Kanton Uri), Irena und Sokol aus Albanien ... Dazu weitere fünf Erzählungen. Liebesgeschichten sind es alle, auch wenn von bitterster Not, unvorstellbarer Armut, von tödlichen Krankheiten, jahrelanger zermürbender Angst, einem Flugzeugabsturz, versuchtem Mord oder arrangiertem Selbstmord die Rede ist.

Haarsträubendes wird berichtet von Männern und Frauen, die durch ihr Leben stolpern. Sie verstehen es oft nicht, verkennen ihre Lage und tun einem so leid darin. Doch zugleich müssen wir sie bewundern, weil sie eben jene Kraft zur Sehnsucht haben, die manchem unter viel günstigeren Umständen fast schon abhanden kam. Abhanden kam, weil hier und heute womöglich die Ablenkungen größer sind, weil manches geboten wird, was als Ersatz für Liebe herhalten kann. Befreiender Ersatz, damit man nicht so abhängig wäre.

Aber hier geht es immer wieder um das Einander-Brauchen, das Liebe nun mal ist, um jene Abhängigkeit, aus der man sich nicht befreien kann, ohne die Liebe zu verlieren. Erwin Koch führt uns vor Augen: Was da zunächst als Schwäche erscheint, aus einer gewissen Unbedarftheit der Protagonisten erwachsen, birgt letztendlich eine große Kraft.

An dem geliebten Menschen festhalten, egal was geschieht. Und es geschieht hier eben sehr viel, zusammengeballter, als wir es kennen, weil im wirklichen Leben kaum etwas unmöglich ist.

Die Vorstellung, vor manchem gefeit zu sein – Blutrache gibt's nur in fernen Ländern, und man käme nie auf die Idee, jemandem ein Schlafmittel ins Getränk zu mischen – dieser Gedanke beruhigt hier dennoch nicht.

Vita brevis – das Leben ist kurz. Das stellt sich ja lediglich auf verschiedene Art unter Beweis. Wir möchten nicht dran denken und müssen daran erinnert werden – um der Sehnsucht, um der Zärtlichkeit und der Leidenschaft willen. Dass wir etwas Unwiederbringliches vergeudet hätten, wäre die schlimmste Reue, die uns treffen könnte.

Erwin Koch: Was das Leben mit der Liebe macht. Wahre Geschichten. Corso Verlag. 132 S., geb., 19,90 €

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