In Halbschuhen und Gehrock durch die Wildnis

nd STECKBRIEF - Einer war's (169)

  • Lesedauer: 4 Min.
In Halbschuhen und Gehrock durch die Wildnis

Der Sohn eines Offiziers machte in seiner Kindheit den Eindruck eines wenig begabten und lernunwilligen Jungen. Zudem war er häufig krank, da ihm das Klima in der Mark Brandenburg, wo er mit seinen Eltern lebte, nicht gut bekam. Musste er wegen einer Grippe das Bett hüten, träumte er jedes Mal von den sonnenwarmen Ländern, die ihm sein Geografielehrer so bildhaft nahe gebracht hatte.

Nach dem Tod seines Vaters schickte ihn die Mutter gemeinsam mit seinem Bruder auf die Universität. Er studierte hier vor allem Staatwirtschaftslehre, belegte aber auch Vorlesungen in den Altertums- und Naturwissenschaften. Während dieser Zeit knüpfte er eine enge Freundschaft zu einem Theologiestudenten, die manche Historiker als erotische Beziehung deuten. Da er einen Beruf im Staatsdienst anstrebte, ging er, um sich darauf vorzubereiten, an die Bergakademie in Freiberg. Hier saß er nicht nur im Hörsaal, sondern fuhr auch regelmäßig in die Grube ein. Danach war er als Assessor im preußischen Bergdienst tätig und wurde nach relativ kurzer Zeit zum Berg- und Oberbergrat befördert.

Nach dem Tod seiner Mutter erbte er ein beträchtliches Vermögen und verzichtete fortan auf jede weitere besoldete Tätigkeit - mit der Begründung: »Jeder Mann hat die Pflicht, in seinem Leben den Platz zu suchen, von dem aus er seiner Generation am besten dienen kann.« Seine Liebe galt der Naturforschung, die er allerdings nicht vom Schreibtisch aus zu betreiben gedachte. Es zog ihn vielmehr in die Ferne, vor allem dorthin, wo es wärmer war als in Europa. »Ein erträgliches Klima,« sagte er einmal, »fängt erst bei den Kanarischen Inseln an.«

Nach einem Aufenthalt in Frankreich, wo er seinen künftigen Reisegefährten traf, verschafften ihm zwei Freunde Zugang zum spanischen Hof. Mit dem Empfehlungsschreiben, das er dort erhielt, war er befugt, das gesamte spanische Kolonialreich im Dienste der Wissenschaft zu durchqueren.

An Bord einer Fregatte segelten er und sein Begleiter zunächst nach Teneriffa und dann weiter nach Venezuela. Hier begann er mit der Erforschung des südamerikanischen Kontinents. Fast 3000 Kilometer war er in ausgehöhlten Baumstämmen auf unwegsamen Urwaldflüssen unterwegs. Nebenher vermaß er das Land, legte geografische Karten an und sammelte exotische Pflanzen. Meist war er dabei tadellos gekleidet, trug einen Gehrock, Halbschuhe und Zylinder. In dieser Garderobe versuchte er auch den Berg Chimborazo zu besteigen, den man damals für den höchsten Gipfel der Erde hielt. Und obwohl dieses Vorhaben nach rund 5700 Metern kurz vor dem Ziel scheiterte, stellten er und seine Gefährten einen neuen Weltrekord im Bergsteigen auf, der jahrzehntelang Bestand hatte.

Am Ende seiner fünfjährigen Expedition machte er einen Abstecher in die USA und wurde hier sogar von Präsident Thomas Jefferson empfangen. Danach reiste er zurück nach Europa. Er ließ sich in Paris nieder und setzte nahezu sein gesamtes Vermögen ein, um die Ergebnisse seiner Forschungsreise in 30 Bänden zu veröffentlichen.

In Berlin wiederum hielt er Vorlesungen an der neu gegründeten Universität, die von über tausend Hörern aus allen Schichten besucht wurden. Auf Einladung des russischen Zaren brach er noch einmal in die Ferne auf und bereiste die Gebiete östlich des Urals. Zuvor musste er sich verpflichten, die politischen Verhältnisse in Russland nicht öffentlich zu kommentieren.

Nach Preußen zurückgekehrt, widmete er sich dem »Entwurf einer physischen Weltbeschreibung«. Die hierbei entstandenen fünf Bände sind noch heute ein Lesevergnügen. Obwohl er nun häufig kränkelte, legte er die Feder erst kurz vor seinem 90. Geburtstag aus der Hand. Gequält von den Schmerzen einer rheumatischen Erkrankung, die er sich bereits in Südamerika zugezogen hatte, starb er wenig später in Berlin.


Wer war's?

Für drei Gewinner dieser Folge stellt der Unionsverlag Rudyard Kiplings »Genau-so-Geschichten oder wie das Kamel seinen Höcker kriegte« zur Verfügung.

Der Maler, nach dem wir letztes Mal fragten, war: Max Beckmann.
Gewonnen haben: Reinhold Waber, Mertingen; Ingrid Bochmann, Chemnitz; Mathias Beck, Markkleeberg.
Einsendeschluss: 10. Dezember (Poststempel)

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