Freispruch für Hubble

(K)ein Kriminalfall der Wissenschaft

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 2 Min.

Hubblesches Gesetz, Hubble-Konstante, Hubble-Weltraumteleskop. Mit diesen Namen wird heute das Werk eines Astronomen geehrt, dem man üblicherweise das Verdienst zuschreibt, die Expansion des Kosmos entdeckt zu haben. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn noch vor Edwin Hubble hatte der belgische Priester und Physiker Georges Lemaître die Idee des expandierenden Weltalls 1927 in einer wenig gelesenen belgischen Fachzeitschrift publiziert. Auf Französisch, versteht sich. In seinem Aufsatz brachte Lemaître die Distanzen und Geschwindigkeiten von Galaxien in eine lineare Beziehung, aus der folgt: Je weiter eine Galaxie von der Erde entfernt ist, desto schneller bewegt sie sich von uns fort. Und selbst für die Konstante, die in dieses lineare Ge᠆setz eingeht, gab Lemaître einen ähnlichen Wert an wie später Hubble.

Doch dann geschah etwas Seltsames: Als der Aufsatz 1931 in den »Monthly Notices of the Royal Astronomical Society« in englischer Übersetzung erschien, fehlten aus᠆gerechnet jene Stellen, an denen Lemaître den mittlerweile publizierten Ergebnissen von Hubble sehr nahe gekommen war. Zufall? Oder hatte da jemand seine Hand im Spiel? Ein Historiker äußerte kürzlich sogar die Vermutung (nd berichtete), dass Hubble hier persönlich als Zensor aufgetreten sei, um seinen Entdeckerruhm nicht mit Lemaître teilen zu müssen.

»Das ist eine haltlose Spekulation«, entgegnet Mario Livio vom Space Telescope Science Institute in Baltimore (USA) und gibt im britischen Fachblatt »Nature« (Bd. 479, S. 171) jetzt eine andere Darstellung des Sachverhalts. Denn bei Archivstudien in Belgien und England hat Livio einen Brief Lemaîtres aus dem Jahr 1931 gefunden, der sich mit der Herstellung der englischen Artikelversion beschäftigt. Danach hatte Lemaître neben der Übersetzung auch die Textstreichungen selber vorgenommen. Zur Begründung erklärte er, dass es überflüssig sei, die besagten Passagen noch einmal zu drucken, da sie auf zu ungenauen Messungen beruhten. Tatsächlich war Hubble in seiner Veröffentlichung von genaueren Daten ausgegangen, die das nach ihm benannte Gesetz bestätigten.

In seiner Bescheidenheit habe Lemaître vermutlich darauf verzichtet, um seine Entdeckerrechte zu kämpfen, meint Livio: »Nachdem Hubbles Ergebnisse 1929 veröffentlicht worden waren, sah er keinen Sinn mehr darin, seine eigenen vorläufigen Ergebnisse erneut zu publizieren.« Man mag das so stehen lassen, aber ganz überzeugend ist auch diese Version der Geschichte nicht.

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