Das Weiße Haus ist schwarz

Funk-Legende George Clinton begeisterte bei seinem einzigen Deutschlandkonzert

  • Sebastian Blottner
  • Lesedauer: 3 Min.

Bescheuerte Mützen und alberne T-Shirts, sexy Rollschuhoutfits und neonleuchtende Kapuzenjacken, Fellhosen, Stirnbänder, Lederbasecaps - wie kriegen sie nur hin, dass das nicht albern wirkt?

Diesen Witz hat kein Jan Delay, diese Coolness kein noch so abgebrühter Imitator aus der Hip-Hop-Ecke. Das größte Geheimnis von George Clinton & Parliament/Funkadelic ist wohl ihr Humor: unaufgesetzt und subtil. Den kann sich nur jemand leisten, der mehr drauf hat, als die anderen. Politisch engagierte Bands gab es viele. Den Funk hat George Clinton nicht erfunden, wenn auch dessen Spielart »P Funk«. Selbst so gut harmonierende Musikerkollektive ließen sich weitere auftreiben. »Do the cosmic stuff« aber? Dazu wird man nur von ihnen aufgefordert. Am Donnerstagabend gab die legendäre US-amerikanische Truppe mit dem über 70-jährigen George Clinton an der Spitze das Auftaktkonzert ihrer Europatournee - das einzige in Deutschland - im Berliner Astra Kulturhaus.

Die Halle war voll, trotz stattlichen Eintrittspreises. Der zuständige Einpeitscher machte die Menge auf derartig coole Weise heiß, dass sie in kürzester Zeit Feuer fing. Er schrie nicht, nein, er redete mit beinahe ebenso gesetzter Stimme wie ein Weihnachtsmann, der genau weiß, wie ungeduldig schon alle auf die Geschenke warten, die er im Gepäck hat - und als ER auftrat, war der Saal bestens vorgewärmt. Mit schwarzem Hut, hellem Umhang und Goldgepränge trippelte George Clinton von seitwärts kommend in die Mitte der Bühne, den rechten Arm wie eine Winkerkrabbe im Einsatz. Das Outfit ist ein anderes als gewohnt, zumindest gibt es dieses Mal keine regenbogenfarbene Haarpracht zu bejubeln. Gut zwanzig Minuten sind schon vorbei und das kleine Quiz des Kollegen, ob George Clinton denn nun überhaupt schon auf der Bühne stehe und wer es eigentlich sei, verunsichert tatsächlich einige.

Kein Wunder bei gefühlten 23 Musikern und einem beträchtlichen produktiven Chaos da oben. Ständig kommt und geht irgendwer, zieht sich um oder wechselt seine Position, am Bühnenrand steht immer schon jemand in den Startlöchern für den nächsten Groove - und der ist es schließlich, der die Leute hierher gezogen hat. Der hibbelig-hüpfende Bass lässt keinen Stillstand zu, peitscht die Menge auf und nieder.

Zu zahlreich sind die Hits, um alle zu Gehör gebracht zu werden. »Freak of the Week« kommt recht früh, ein Titel, den jeder einzelne Musiker verdient hätte. Natürlich »Maggot Brain«, dessen an Jimmy Hendrix erinnerndes Gitarrensolo als eines der bedeutendsten der Rock- und Popgeschichte gelten darf. 15 Minuten nimmt es auch an so einem Live-Abend in Anspruch. Überhaupt lehrt einen diese Band wieder einmal, was er heißt, sich mit einem Musiker auf eine Reise zu begeben, sich fortreißen zu lassen, so lange es eben dauern mag. Allein das als Blues beginnende, sich zu einem grandiosen Soulfunk steigernde Feature der Sängerin Mary Griffin wäre den Besuch des Konzerts Wert gewesen.

Als Botschafter des Funk sind Parliament/Funkadelic so ziemlich das Maß aller Dinge, nicht zuletzt von Hip-Hop-Nachkommen tausendfach gesampelt. »One Nation Under a Groove«, eines ihrer wichtigsten Werke vom Ende der 70er Jahre muss denn auch sein, zum Mitsingen. Apropos Hip-Hop-Nachkommen: Clintons Enkelsohn hatte einen überzeugend relaxten Rap-Auftritt in der Mitte des Sets.

Menschen, die nie Lachen, können laut Chopin keine ernsthaften Leute sein: Was Funkadelic auf ihren schrägen Shows anstellen, ist sehr ernsthaft. Man denke nur an ihre Idee, das Weiße Haus schwarz anzumalen. Solche Botschaften setzen sie auf unvergleichliche Grooves und lassen sie hinaus in die Welt reiten.

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