nd-aktuell.de / 29.11.2011 / Politik / Seite 10

Lokale Lebenswelten globalisiert

Interaktive Ausstellung zum Alltag von Jugendlichen in vier Kontinenten

Kai Walter
Sansibar Stadt, Puerto Princesa, El Alto und Potsdam. Wie gestalten Kinder und Jugendliche in diesen vier Städten ihr Leben? Auf diese und andere Fragen haben 43 Kinder und Jugendliche aus vier Städten von vier Kontinenten Antworten gefunden.
Azaluu (l.) aus Sansibar tauscht sich mit einer asiatischstämmigen Potsdamer Schülerin aus.
Azaluu (l.) aus Sansibar tauscht sich mit einer asiatischstämmigen Potsdamer Schülerin aus.

Vor einem Jahr haben drei Vereine begonnen, junge Menschen aus Puerta Princesa, El Alto und Sansibar Town für die mobile Ausstellung »StadtLandGeld« zu befragen. Fast fünfzig Kinder und Jugendliche von den Philippinen, aus Bolivien und aus Tansania erzählten von ihrem Alltag und ihren Vorstellungen vom Leben. In Begleitung einer Lehrerin oder eines Lehrers konnten je zwei Jugendliche aus diesen Städten nun stellvertretend nach Deutschland kommen. In Potsdam und mehreren Kleinstädten des Landes Brandenburg haben sie mit gleichaltrigen Deutschen das Ergebnis getestet und gemeinsam viel Neues gelernt.

Anfangs etwas unsicher, dann forschender, beugen sich die sansibarischen Gäste und Schüler aus dem brandenburgischen Dabendorf über einen Koffer und kramen. Der Koffer gehört zum Baustein Ernährung der Ausstellung »StadtLandGeld«. Wie zu den anderen Themen Bildung, Gesundheit und Einkommen sind darin Dinge, die Jugendliche aus den teilnehmenden Städten und aus dem Land Brandenburg gesammelt haben. Nun sollen die Jugendlichen etwas finden, das sie aus ihrem Alltag kennen und eine Geschichte erzählen. Die 15-jährige Azaluu hält ein kleines Tütchen hoch, dessen Inhalt sie kennt. Die Dabendorfer Schüler wissen nicht was das ist. Azaluu erzählt, dass es in ihrer Heimat ganz viele Gewürznelken gibt, die das »Wahrzeichen« von Sansibar sind. Sie erzählt auch, dass die Farmer die Nelken nicht einfach verkaufen dürfen, sondern alles über eine staatliche Aufkaufstelle abläuft, bei der ihre Mutter arbeitet.

Die drei Vereine Carpus, Gesellschaft für Solidarische Entwicklungszusammenarbeit (GSE) und die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Brandenburg haben für die Ausstellung dort nach passenden Jugendlichen gesucht, wo sie schon seit Langem durch verschiedene Projekte Erfahrungen gesammelt haben. »Wir haben ganz bewusst Leute aus unterschiedlichen Umfeldern und Lebenssituationen gesucht«, erzählt Uwe Berger von Carpus. Es sei das Ziel gewesen, möglichst authentisch die Vielfalt und Unterschiedlichkeit des Lebens junger Menschen greifbar zu machen. So habe er sich gefreut, auf Dexter zu stoßen. Der mittlerweile 19-Jährige war, als er für das Projekt interviewt wurde, ein arbeitender Schüler. In der philippinischen Stadt Puerto Princesa lebte er in einer Angestelltenbaracke. Er musste morgens von vier Uhr bis sechs Uhr auf dem Markt Fische sortieren, um Geld für seine Schulausbildung zu verdienen. Danach ging es um sieben Uhr in die Schule. Die Anstrengungen haben sich gelohnt. »Jetzt studiere ich Biologie und möchte Forscher werden«, erzählt Dexter. Arbeiten könne er jetzt nur noch am Wochenende als Gärtner, weil das Lernen viel Zeit beanspruche.

Die sechs Jugendlichen aus Puerto Princesa, El Alto und Sansibar Town verbrachten eine Woche gemeinsam mit ihren deutschen Patenschülern in Potsdam. Dort arbeiteten sie gemeinsam an ihren Präsentationen und probten die Arbeit mit der Ausstellung. »Wir haben mit einer gemeinsamen Eingewöhnung auf neutralem Boden gute Erfahrungen gemacht«, sagt Birgit Mitawi von der RAA. In zahlreichen Projekten hat sie auf der ostafrikanischen Insel Sansibar, die zu Tansania gehört, mit deutschen und sansibarischen Jugendlichen Schulen gebaut, Theaterstücke geprobt und aufgeführt und vielseitige Begegnungen von Schülern und Lehrern in Deutschland und in Sansibar begleitet.

Dann zogen die Gäste für zwei Wochen zu Familien in Dabendorf bei Zossen, Schwarzheide und Eberswalde. Sie lernten den Alltag zu Hause und in der Schule kennen, präsentierten ihr Leben in der Heimat vor vielen Schülern und arbeiteten mit der Ausstellung. Der 16-jährige Yui und die 15-jährige Azaluu aus Sansibar Town gingen nach Dabendorf. »Birgit Mitawi hat meinen Vater an seiner Tankstelle angesprochen und gefragt, ob er Kinder habe. Dann haben wir ein Interview gemacht, in dem sie interessante Fragen gestellt hat«, erinnert sich Yui. Er freut sich, dass er für die Reise nach Deutschland ausgewählt wurde.

Die Dabendorfer Schüler haben viele Fragen. Habt ihr ein Handy? Trinkt ihr Alkohol? Wo kauft ihr ein? Handys haben Azaluu und Yui aus Sansibar. Aber mit Jungs darf sie nicht telefonieren, erzählt Azaluu. Alkohol trinken beide nicht. Während die Leute in Deutschland eher im Supermarkt als auf dem Markt einkaufen, ist es in Sansibar umgekehrt. Warum das so ist, klären die Dabendorfer Schüler im Gespräch mit Azaluu und Yui. In Deutschland ist es im Supermarkt oft billiger und außerdem sind die Marktstände meist schon geschlossen, wenn die Schüler aus der Schule und ihre Eltern von der Arbeit kommen. Für die Sansibari ist hingegen der Supermarkt meist zu teuer, da es dort vor allem importierte Waren gibt. Und die Marktstände und kleineren Läden sind von morgens bis abends geöffnet.

Die Dabendorfer sind empört, als sie von den Problemen beim langen Schulweg hören. Da die Schüler in Sansibar ein Anrecht auf einen ermäßigten Preis haben, werden sie von Busfahrern oft einfach stehen gelassen, weil diese mehr Geld verdienen wollen. »Was denkt ihr, wie viele Ampeln es auf Sansibar gibt?«, fragt Yui. »200«, meint jemand. Da schmunzeln Azaluu und Yui. Ganze zwei Stück seien es, erzählen sie lachend.

Nach drei intensiven Wochen in Deutschland reisen Yui, Azaluu und ihre neugewonnenen Freunde aus Puerto Princesa und El Alto mit vielen Eindrücken zurück. In Potsdam, Eberswalde, Dabendorf und Schwarzheide bleiben ihren Gastfamilien und all den Menschen, denen sie begegnet sind, interessante Erfahrungen und Erinnerungen. Und es bleibt die interaktive Ausstellung und das umfangreiche didaktische Material.

www.stadt-land-geld.brebit.org[1]

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