Fleisch im Fladenbrot für alle

Remzi Kaplan arbeitete sich in Berlin vom Gastarbeitersohn zum millionenschweren Unternehmer hoch

  • Doreen Fiedler, dpa
  • Lesedauer: 7 Min.
Berlin ist die Hauptstadt des Döners. Hier haben türkische Gastarbeiter das gegrillte Fleisch erstmals in den Fladen gesteckt, mittlerweile gibt es hier rund 1000 entsprechende Loakle. Auch der König des Geschäfts residiert hier.

Über dem Eingang der Firma leuchtet ein Wappen in Gold. »Kaplan. Dönerproduktion« steht darauf. Ein Dreiecksgiebel erhebt sich über der Inschrift, Ornamente schließen das Logo zu den Seiten und nach unten hin ab. In der Mitte steht ein großes »K«. »K« wie »König«.

Dabei muss Remzi Kaplan hier im Berliner Stadtteil Wedding niemandem erzählen, wer er ist. Im Viertel nennen sie ihn einfach »Dönerkönig«. Er residiert nur wenige hundert Meter von seiner Fabrik entfernt, im Soldiner Kiez, einem sogenannten Problemkiez mit hohem Ausländeranteil und vielen Arbeitslosen. Kaplan gibt einigen von ihnen Arbeit. Kaplan lässt bekannte türkische Sänger für Volksfeste einfliegen. Kaplan schüttelt Hände und klopft Schultern. Er ist ihr Vorbild. Einer, der es geschafft hat: vom Gastarbeitersohn zum Millionär.

Remzi Kaplan begrüßt seinen Besuch, bevor er selbst den Raum betritt. In einem Vorzimmer seiner Fabrik, wo 38 Arbeiter Kalb- und Geflügelfleisch auf Spieße stecken, blickt er von einem Porträtgemälde herab. Darauf lächelt er sanftmütig. Als der echte Remzi Kaplan kommt, ist sein Schnurrbart grauer, das Haar schütterer, das Gesicht runder. Und er lächelt nicht. Der Unternehmer betritt den Raum wie eine Bühne.

Er führt in sein riesiges Büro im Obergeschoss, direkt über der Produktionshalle. Unten riecht es nach frischem rotem Fleisch, Arbeiter in weißen Kitteln und mit weißen Haarnetzen zerschneiden Rippen und walzen das Kalbfleisch mürbe. Um sie herum stehen Kisten mit Paprika, Möhrendosen und Gewürztüten für die Geflügeldöner sowie Eimer voller Semmelbrösel für das Hackfleisch. Schließlich werden die Spieße aus 40 Prozent Fleischlappen und 60 Prozent Hack aufgetürmt. Zwischen 5 und 100 Kilo wiegen sie.

Oben sitzt Kaplan in einem Sessel in Purpurrot - der Farbe von Königen und Kardinälen. Seine Schuhe sind blank poliert, die Hose akkurat gebügelt und die Gürtelschnalle glänzt. Durch die Brusttasche seines weißen Kurzarmhemdes schimmern die Visitenkarten mit dem »K« des Firmenlogos.

Auf einem riesigen Bildschirm sieht er die 16 Bilder der Überwachungskameras, mit deren Hilfe er jeden einzelnen Produktionsschritt überwachen kann: die Anlieferung, den Fleischer mit seiner Kettenschürze, den Fleischwolf, den Weg zu den Kühlräumen. Sein Reich. »Ich sehe alles hier. Ich kann alles sehen«, sagt er.

51 Jahre ist Kaplan alt und fast sein ganzes Leben lang hat er gearbeitet. Schon als Sechsjähriger verkaufte er Glückslose und Salatgurken in einem Dorf in Mittel-Anatolien. Bereits seit dieser Zeit kennt ihn Mehmet Özkan, ein Mann, der wie der nette Gemüsehändler von nebenan aussieht, untersetzt und mit Bauch. Heute arbeitet Özkan in Kaplans Firma, in der Aufsteigerbranche Dönerindustrie. Mittlerweile nennt er sich Qualitätsmanager.

Gerne erzählt Özkan von früher, als Kaplan mit elf Jahren nach Berlin kam und im Wedding seine kleinen Geschäfte tätigte. »Er war immer aktiv. Als Jugendlicher war er Marktschreier, Markthändler, er hat immer etwas mit Handel zu tun gehabt, von Anfang an. Er hat Gemüse verkauft, Käse verkauft, Wurst verkauft.«

Döner für Ostberlin

Kaplan wanderte 1971 ein, als gerade die deutsche Version des Döner Kebap (manche schreiben auch Kebab) erfunden wurde: gegrilltes Fleisch mit Salat, Zwiebeln, ein paar Scheiben Tomate und Soße im Fladenbrot, statt wie in der Türkei auf dem Teller. Und es war der Döner, der dem Mann ohne Schulabschluss, der sich jahrelang auf Berliner Wochenmärkten durchschlug, schließlich zum Durchbruch verhalf. Nach dem Mauerfall verkaufte er als erstes Döner in Ostberlin. Mittlerweile liefern seine drei Firmen Dönerspieße von Spanien bis Finnland aus, seine Firma gehört zu den größten Europas.

»Ich hab' alles hinter mir«, sagt Kaplan mit seiner vollen Stimme, die klar und verständlich ist, doch manchmal fehlt ihm ein Artikel oder er vertauscht Worte. »Ich bin auf meinem Teppich geblieben und bleib' ich auf meinem Teppich. Ich bin auch vorletzte Woche gewählt worden, türkisch-deutsche Unternehmensvereinigung bin ich jetzt auch Vorsitzender. Manchmal braucht man auch mich - oder ich brauch den anderen.«

Im Viertel wird er als sozialer Mensch beschrieben, der einen eigenen Kulturverein gegründet hat und viele Ehrenämter übernimmt. »Er ist beliebt bei den Kunden. Und er kann mit Menschen umgehen«, erklärt Özkan die Qualitäten seines Chefs. Kinder bekamen bei einer Schulaktion für eine Eins im Zeugnis einen Döner geschenkt. Und für ein Kiezfest ließ Kaplan einen 581 Kilogramm schweren Fleischberg herstellen und verteilte die Döner an die Festbesucher. Kostenlos.

Mit der Aktion wollte er allerdings auch im »Guinness-Buch der Rekorde« landen. Kaplan sei auch jemand, der nie auf der Straße zu sehen sei, weil er den kurzen Weg zur Arbeit mit seiner schwarzen Limousine nehme, sagt eine Frau aus dem Kiez, die unerkannt bleiben möchte. Er sei nur auf seinen persönlichen Gewinn und sein Ansehen bedacht. Dazu passen die Bilder, wie Kaplan mit dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan spricht und ihm schließlich einen Döner aufs Zimmer bringen lässt.

Der Sohn und die beiden Töchter von Kaplan - Birol (33), Berin (32) und Belgin (27) - arbeiten in der Firma mit. Ein Familienbetrieb. »Jeder hat seine Aufgaben hier. Produktionsbereich macht meine Tochter, Personal macht meine andere Tochter und ich bin da oben, ich beobachte alles«, sagt Kaplan. Das Konzept Ruhestand ist ihm fremd. »Wenn ich nicht arbeite, dann geht's mir schlecht. Ich muss arbeiten. Ein Geschäftsmann hat keine Altersprobleme. Wenn meine Gesundheit es nicht mehr erlaubt, dann ist das wieder was Anderes, aber ich bin fit.«

Mindestens einmal im Jahr fährt er zurück in seinen Heimatort Bahadin. »Dort kennt ihn jeder«, sagt Özkan, der Qualitätsmanager. »Manche bitten ihn, ob er ihren Kindern ein Stipendium gibt. Manchmal macht er das.« Drei Bushaltestellen hat er in Bahadin finanziert, auf ihnen ist in großen Buchstaben zu lesen: »Kaplan Döner«.

Sein Name steht auch auf einem kleinen Stein, der wie ein vornehmes Tischkärtchen auf dem Schreibtisch des »Dönerkönigs« steht. Außerdem auf dem Tisch: ein purpurroter Notizplaner, ein Mousepad mit Firmenlogo, zwei Telefone und zwei Handys. Auf seinem Smartphone zeigt Kaplan die Urlaubsfotos vom Mittelmeer. Er sitzt am Strand, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, den Bauch in die Kamera gewölbt.

Er ruft seine Frau herein, die gerade noch im gelben Bikini am Strand von Izmir zu sehen war. Saziye Kaplan stellt sich kurz vor, doch schon die Frage nach ihren Aufgaben im Unternehmen gibt sie an ihren Mann weiter. »Was mache ich, Remzi?« - »Für Personal und so«, sagt er. Als sie hinausgeht, fügt er hinzu: »Meine Frau nicht schön, hässlich.«

Ein weiterer Ruf und die »Dönerprinzessin« tritt herein. Belgin Kaplan ist die Jüngste in der Familie, trägt wallendes Haar und orangefarbene Fingernägel. Schon als Sechsjährige arbeitete sie am Gemüsestand ihres Vaters als Lockvogel und hielt die Tüten auf. Heute leitet sie die Abteilung Marketing, Catering und Sponsoring. »Ich bin sozusagen die Stellvertretung von meinem Vater.«

»Wir möchten, dass er nicht mehr so extrem viel macht wie früher«, sagt die Tochter. Und etwas später fügt sie hinzu: »Wir versuchen, ihm gerecht zu werden, so wie er uns erzogen hat.« An der Wand hängen zwei großformatige Zeichnungen: auf der einen ist Remzi Kaplan mit seinem Vater und seinem Großvater zu sehen, auf der anderen zusammen mit seinem Sohn. Die Töchter fehlen. »Die kommen auch, wenn das soweit ist. Wenn sie etwas geschafft haben, dann kommen sie auch in den Fotorahmen.«

Papa Kaplan

Zum Abschluss erzählt Özkan, der Qualitätsmanager, dass eigentlich die Kinder den Betrieb leiten. Remzi Kaplan komme jedoch trotzdem jeden Tag hierher, um sich mit Gästen und Freunden auszutauschen, zu plaudern, zu beraten - und die Kontrolle zu behalten. »Das gibt doch kein Mensch freiwillig ab«, sagt Özkan. »Herr Kaplan ist immer noch der...«, er stockt, seine Hand bewegt sich in die Höhe bis der Arm ausgestreckt ist und fast bis hinauf zu der Wanduhr mit dem »K«-Logo reicht. Dann fängt er sich und sagt: »... der Papa.«

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