David Cameron auf schlingerndem Schiff

Eine wachsende Zahl von Briten zweifelt daran, mit dem Premier »im selben Boot« zu sitzen

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Der britischen Regierung weht der Wind ins Gesicht: Zu Beginn vergangener Woche musste der Finanzminister weitere Kürzungen ankündigen, am Mittwoch traten Millionen in den Streik.

»Wir sitzen alle im selben Boot«, pflegte der Börsenmaklersohn David Cameron dem Wahlvolk zuzurufen, bevor er den damaligen sozialdemokratischen Premier Gordon Brown wegen angeblich verschwenderischer Sozialpolitik beschimpfte. Unter konservativer Herrschaft würde das Land fairer regiert werden. Doch die Haushaltsrede des Finanzministers George Osborne am vergangenen Dienstag belehrte die Briten eines Besseren. Und der Zwei-Millionen-Streik im öffentlichen Dienst einen Tag später zeigte, dass eine wachsende Zahl von Menschen sich die »Klassenkampfpolitik« von oben nicht mehr gefallen lässt.

»Osbornes Kürzungen treffen den öffentlichen Sektor und die Armen«, kommentierte Polly Toynbee, Kolumnistin beim linksliberalen »Guardian«. Über 700 000 Stellen im öffentlichen Dienst sollen gestrichen werden - überdurchschnittlich viele im ärmeren Nordengland. Opfer der Regierungspläne sind auch schlecht bezahlte Frauen. Kein Wunder, dass Lehrerinnen, Erzieherinnen und Schulköchinnen zusammen mit Rathausangestellten beiderlei Geschlechts gegen Cameron und Osborne streikten und demonstrierten: Heute frieren die Konservativen ihnen den Lohn ein, dessen Kaufkraft weiter sinkt. Morgen verlieren sie womöglich den Job und übermorgen planen die Regierenden den größten Rentenklau der britischen Geschichte - mit dem dürren Hinweis, Arbeitnehmer in der Privatindustrie bekämen noch weniger.

Geringverdienern soll der von den Steuerzahlern finanzierte Teil ihrer Kombilöhne gestrichen werden, ohne jede Chance, dass ihre Arbeitgeber das Fehlende beisteuern. Dabei sind seit Camerons Machtantritt im Mai 2010 die Direktorengehälter in der Industrie um 49 Prozent gestiegen. Doch die Steuern auf Wohneigentum, die von den Reichen zu zahlen sind, wurden nicht erhöht. Über legale Steuervermeidung und illegale Steuerhinterziehung verlor Osborne in der Haushaltsrede auch kein Wort, schließlich ist er selber Millionärssohn, braucht also nicht in einem Altenheim für einen Hungerlohn zu schuften oder bei Wind und Wetter Müll abzufahren.

Die von den Regierenden als Desperados beschimpften Gewerkschafter waren mit dem Erfolg ihrer Kampfmaßnahmen am Mittwoch entsprechend zufrieden. Sollte die Regierung in der Rentenfrage nicht einlenken - höhere Beiträge und Renten, die noch drastischer gekürzt werden sollen, sind angedroht - wird es im neuen Jahr weitere Streiks geben.

Aber den Rentenklau haben die Tories in ihren Bilanzen schon eingeplant; darauf zu verzichten, würde neue Haushaltslöcher aufreißen. Osborne musste schon nach anderthalb Jahren eingestehen, dass seine Sparpläne zur Beseitigung des Haushaltsdefizits bis 2015 Makulatur sind: Zwei Jahre länger werde es schon dauern, also bis nach der nächsten Parlamentswahl.

Glauben macht selig. Denn bei über 2,6 Millionen Arbeitslosen, Tendenz stark steigend, und Nullwachstum in diesem Jahr werden nicht nur die Ausgaben, sondern auch die Einnahmen der Regierung sinken. Damit wird das finanzielle Gleichgewicht bis zum St. Nimmerleinstag verschoben. Zumal die windschiefen Kalkulationen der rechten Koalition auf einer optimistischen Annahme beruhen, die sie nicht beeinflussen kann. Cameron und seine Mannen gehen davon aus, dass es in anderen Weltteilen ruhig bleibt. Weitere Turbulenzen im Euroraum, wo Großbritannien mehr als die Hälfte seiner Ausfuhren absetzt, sind nicht einkalkuliert, Reserven für absehbare Krisen sind nicht vorhanden. Wie man Bankenpleiten zuvorkommen musste, wusste vor drei Jahren auf EU- und G20-Treffen Gordon Brown; wie Euro-Austritte und Staatenpleiten zu verhindern sind, wissen die Wirtschaftslaien der Tories nicht. Nur eins ist sicher: Die Konservativen werden ihre EU-Partner tüchtig beschimpfen. Denn mit Merkel und Sarkozy wollen Cameron und Co. nicht im selben Boot sitzen.

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