Jungfrau im Furor

Vor sechshundert Jahren, im Januar 1412, wurde Jeanne d'Arc geboren

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Sechs Jahrhunderte lang Jungfrau! Schlimm. Wirklich? Vielleicht hat Schiller recht: »Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude.« Nicht irgendein Vers ist das - so endet »Die Jungfrau von Orleans«, des deutschen Dichters romantische Tragödie über den Mythos Jeanne d'Arc. Schmerz, das ist das Leben; Freude, das ist das Bewusstsein, das sich von anderen Stoffen nährt als der Leib.

Gestern vor sechshundert Jahren soll die französische Nationalheldin geboren worden sein, 1412 in Lothringen. Das Bauernmädchen führte den Befreiungszug gegen die Engländer, sie half dem rechtmäßigen König Karl VII. auf den Thron. Heldenschicksal: 1431 starb sie in Rouen im Feuer eines begeistert umgrölten Scheiterhaufens. 1920 dann die Heiligsprechung.

Amen.

Auch Schillers Johanna führt die Franzosen erfolgreich gegen die Engländer, im Traum hatte sie der göttliche Auftrag überkommen, auch die Gewissheit des Sieges. Der Preis: sich »der ird'schen Liebe« zu verweigern. Johanna siegt und stirbt. Immer nur gefochten hat sie, nie gelebt.

Seit jeher erzählen Theaterinszenierungent vom Spiel der Extreme. Schillers Johanna, zwischen Frömmigkeit und einem Mut, der einzig auf Glauben beruht: Mädchenhimmel, Ideologenhölle. Eine Schönheit des Blutrauschs. Pippi Langschwert. Bertolt Brecht reißt den Mythos in den Marktkrieg. Weltwirtschaftskrise. Er zeigt in der »Heiligen Johanna der Schlachthöfe«, wie das Heilsarmeemädchen Johanna Dark im Kampfgetümmel zwischen Viehhändlern und Fleischfabrikanten Chicagos den lieben Gott installieren will. Der Teller Suppe als Seelenstabilisator für die, die nichts haben. Arbeitslos ist nicht gut, aber dazu auch noch gottlos? Das ist zu viel. Mit speckloser Brühe lockt man, was da arm ist wie die Kirchenmaus. Schnell dann die Enttäuschung: dass Menschen zwar noch immer Hunger, aber Gott trotzdem schnell satt haben. An diesem Punkt beginnt Johannas Weg in die Tiefe, in die Schlachthöfe, aufs Schlachtfeld des Ökonomischen: Sie will das Gesetz der Gesetze studieren, sie wird lernen, dass man an bestimmten bösen Erfahrungen erst zugrunde gehen muss, um als Mensch zu bestehen.

Sich hineinzwängend ins Vertrauen des Großfabrikanten Mauler, stößt Johanna auf das, was die Welt der Konkurrenz im Innersten zusammenhält: Oben und Unten. Sie ist ein Kobold des Nachtasyls, ist der zierliche Zwerg im Boxring, wird aber zum Besen aus Überzeugung und Resolutheit. Ist zugleich ein handliches Tapsgeschöpf für tausend Arten des Staunens: Sie wird staunend predigen, staunend fragen, staunend schweigen, staunend verzweifeln. Und sie wird staunend sterben in der allgewaltigen Kälte.

Die Jungfrau als Schlächterin. Heilige Kriegerschaft als Frühform bewaffneter Weltreinigung. So fängt's bei Schiller an, und bei Brecht endet's auf jenem Schlachthof, der Friedhof wird - auf dem Johanna aber wirklich ihren Frieden findet. Weil der Dichter für sie einen Vers fand, der klassisch, also wirkungslos wurde. »Oh, folgenlose Güte!/ Ich habe nichts geändert./ Schnell verschwindend aus dieser Welt ohne Furcht/ Sage ich euch/ Sorgt doch, daß ihr die Welt verlassend/ Nicht nur gut wart, sondern verlaßt/ Eine gute Welt!«

Wer traut sich jetzt zynisch zu sagen, was einem bei so viel träumerischer Lyrik unweigerlich auf die Lippen fliegt: Amen!

Ein Mensch in der Revolte. Jeanne d'Arc. Johanna Meinhof, Ulrike Dark. Eine Besessene, ganz Feuer und Fieber. Sie steht für die grausame Romantik der hohen Idee - die nur wüten kann, wenn die Kämpferin unbefleckt bleibt von den Anfechtungen des unreinen Menschseins. So dröhnt's durch die Zeiten. Auf, Sozialisten, schließt die Reihen. Hinten kippen die zerstampften Toten zur Seite. Wo jemand meint, er sei von einem Gott oder Weltgeist ergriffen, hält er sich gern selber für ein höheres Wesen - und diejenigen vor ihm, unter ihm werden automatisch kleiner. Irgendwann ist ein Ideal wie ein Fundus, aus dem sich jeder nach Belieben für seine Schlachten bedienen kann.

Mir nach!, schreit Johanna. Wer aber sollte, wer überhaupt könnte so einem Furor folgen? Das Reine ist das Einsame, das Gesäuberte ist das Entvölkerte. In diesem Mythenweib tobt, was sich als Hoffnung und zugleich als Tod der Hoffnung durch die Zeiten schlug, was Menschen niederschlug und was sie doch immer wieder auch aufrichtete. Brechts Johanna: »Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht, und/ Es helfen nur Menschen wo Menschen sind.«

Jetzt bitte kein Amen. Denn das war kein Satz für den Schluss, eher für einen Anfang.

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