Verborgenes wird plötzlich gewärtig

Vor 100 Jahren geboren: der unvergessene Dirigent Günter Wand

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Günter Wand war ein Dirigententyp, den es im heutigen universellen Vermarktungszeitalter - alles ist Ware, alles muss sich rechnen - kaum mehr gibt: uneitel, alle musikalische Gedankenarbeit auf die Sache gerichtet, das an dem Werk getreu hervorbringen, was in und hinter den Noten steht, Bescheidenheit noch im Zenit des Erfolgs, Liebe zu mehrerlei: zu Mozart, zu Bruckner, zu Messiaen, zu Bernd-Alois Zimmermann. Die Ideale guter Musik, den Taktstock in der Hand, hochzuhalten, oblag ihm gute siebzig Jahre lang.

Günter Wand suchte neben dem, was technisch-handwerklich professionell zu absolvieren war, vornehmlich das Unterirdische, schwer Fassliche, die Unterschichten von Partituren umzusetzen. Mozart-Aufnahmen etwa mit dem Gürzenich-Orchester Köln (50er/60er Jahre), belegen das. Selbst tänzerische Sätze der »Haffner«-Serenade oder der g-moll-Sinfonie führen, selten vernehmbar, einen Ernst mit, der eigentümlich anrührt. Verborgenes wird plötzlich gewärtig. Derlei hervorzukehren, darin liegt ein hoher Wert. Nicht zu verwechseln mit irrationalen Vokabeln wie Mystik oder Magie, die man namentlich Dirigenten gern anheftet.

Wer den Dirigenten im Konzert nicht selbst erleben durftete, kann gleichwohl seiner Interpretationskunst in ihrer Stetigkeit wie in ihren Wandlungen beispielhaft nachgehen. CD-Produktionen, zumeist erstrangige Dokumente, ermöglichen den Einstieg. Voran die Günter-Wand-Edition, die das Label »Profil Hänssler« in Co-Produktion mit Rundfunkanstalten herausbrachte, an die 50 Platten. Dirigate der verschiedensten Perioden, von Haydn bis Bruckner, Schubert bis Richard Strauss, passieren Revue. Vieles an der Edition macht staunen: die Breite des Repertoires, die hohe dirigentische Aktivität, die sie abbildet, endlich die Wiedergabe von des Dirigenten Verhältnis zur Neuen Musik, über das nur wenige wissen.

Günter Wand hat ein Zeitalter besichtigt, ein subjektiv schwieriges, objektiv extremes Zeitalter. Er starb 2002 mit neunzig, hat also das 20. Jahrhundert überlebt. Musikalische Tradition geriet in diesem Jahrhundert immer kopflastiger, und eine sich furchtlos durchsetzende Moderne wurde entweder verfemt, missachtet, verlacht oder in die exklusiven Nischen bürgerlich-liberaler Kultur manöveriert, daran selbst nicht unschuldig. Diese widersprüchlichen Sphären suchte Günter Wand in den ersten Jahrzehnten seines Wirkens zu überbrücken, als Dirigent wie als Erzieher und Mitgestalter des Musiklebens. Und er hatte Erfolg.

Seine Sporen verdient sich der 1912 in Elberfeld geborene Dirigent als Korrepetitor am Wuppertaler Opernhaus. Fortan, als Operetten- und Opernkapellmeister im damaligen Allenstein/Ost-preußen und Dirigent in Detmold, schruppt er alles, was die Häuser auf den Plan setzen, selbst Schmonzetten. Wenig später wird er 1. Kapellmeister an der Kölner Oper, bevor diese in Schutt und Asche geht. Während der Nazizeit soll er, nach Wolfgang Seifert (»Günter Wand: So und nicht anders«, Mainz 2007) weder Nazi noch Mitläufer gewesen sein. Vor den Bomben flieht Wand nach Salzburg, dirigiert das Mozarteum-Orchester und steht dem amerikanischen »Special Service« als Musical-Arrangeur zu Diensten.

Günter Wand ist, als die Katastrophe 1945 sich vollendet, 33 Jahre alt und im Vollbesitz seiner dirigentischen Fähigkeiten. Bruck-ner, Wagner, Liszt, die NS-belasteten Pfitzner und Strauss zu machen, scheint dem Jungdirigenten vorerst zweifelhaft. Die objektiv veränderte Sprachsituation verbietet es ihm, in alten Gleisen zu verharren. Doch, komisch, so sehr vieles wird danach nicht anders. Ein gehörig Quantum Nazikulturschmutz überdauert, im Musikleben existieren die alten Verabredungen fort. Wand indes zieht Konsequenzen. Nach Köln zurückgekehrt, beruft ihn die Stadt zum Gürzenich-Kapellmeister für Oper und Konzert.

Plötzlich steckt er in einer hundertjährigen Tradition von Ur- und Erstaufführungen, einer, die genau die seine ist. Über mehrere Stationen bis zur Übernahme der Leitung des WDR-Sinfonieorches-ters beginnt eine ungemein produktive Schaffensphase, in der sich Wand - trotz Attacken der konservativen Phalanx - nicht scheut, modernste Kompositionen von Olivier Messiaen, Wolfgang Fortner oder Bernd-Alois Zimmermann exemplarisch aufzuführen.

Der Komponist Hans-Joachim Hespos aus Ganderkesee erzählt die Geschichte, es hätte Zeiten gegeben, in denen sich Günter Wand, nachdem er ein Werk von Bernd-Alois Zimmermann - nicht ohne Störungen - im Publikum dirigiert hatte, sich umwandte und sagte: »Verehrte Zuhörer, ich habe bemerkt, dass sie nicht alles verstanden haben, drum spielen wir dieses Werk noch einmal.«

In den frühen 50er Jahren dirigiert er in der DDR einmal die Staatskapelle Berlin. Die will ihn nach Erich Kleibers politisch motiviertem Abgang liebend gern als Chef haben. Aber die kalten Krieger in den Kölner Behörden infiltrieren Wand, so dass er dies einzigartige Angebot ausschlägt. Wand darf aber 1957 immerhin in Leningrad und Moskau die dortigen großen Klangkörper leiten.

Während seines letzten Jahrzehnts, und schon vorher, stilisiert die Feuilleton-Branche West ihn zum Gott der Bruckner-Interpre-tation. Tatsächlich gibt Günter Wand mehrere viel beachtete Bruckner-Zyklen, mit dem WDR-Orchester, den Berliner Philharmonikern und anderen. Sie werden nach Biograf Wolfgang Seifert allesamt enthusiastisch gefeiert, bisweilen so tolldreist, dass, wie in der Philharmonie mehrmals erlebt, das Publikum nach Bruckners Neunter fast wie zu Goebbels Zeiten frenetisch aufjubelt und während endloser Akklamationen die Fassung über sich verliert.

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