Haus voller Narren

Kramp-Karrenbauer stürzt Politik an der Saar in Verwirrung

  • Oliver Hilt, Saarbrücken
  • Lesedauer: 4 Min.
Kein Faschingsscherz: Jamaika an der Saar ist gescheitert. Während sich die CDU-Regierungschefin überlegen gibt, hat die Konkurrenz Mühe, sich auf die neue Lage einzustellen.

»Es ist die einzige Gelegenheit im Jahr, wo man sich als Politiker ganz offiziell mit Narren treffen darf. Bei anderen Gelegenheiten kann man es sich nicht aussuchen«. Knapp 48 Stunden, nachdem sie das Ende der »Jamaika«-Koalition besiegelt hat, wirkt Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) am Sonntagmorgen beim Narrenempfang in der Saarbrücker Staatskanzlei routiniert-locker. Sie spricht von »stürmischen Zeiten«, in denen man sich die Frage stellen müsse, wo mehr Narren sind, »in der Politik oder vorne dran?«.

Für die »stürmischen Zeiten« an der Saar hatte die Regierungschefin am Freitagnachmittag die Saar-Liberalen mit ihrer Selbstzerfleischungswut verantwortlich gemacht und sie vor die Tür gesetzt. Zwei Jahre und zwei Monate hat das »Experiment Jamaika« auf Landesebene gehalten. Das Ende zu diesem Zeitpunkt und in dieser Form war trotz aller Querelen überraschend.

FDP betrieb konsequent Selbstauflösung

Zwei Jahre lang hatten die schwarz-gelb-grünen Regierungspartner immer wieder die labile Brüchigkeit ihres Bündnisses zu überspielen versucht. Zwei Untersuchungsausschüsse, den Doppelrücktritt von FDP-Partei- und Fraktionschef vor einem Jahr, das nur knapp vermiedene Wahldesaster beim Wechsel von Peter Müller zu Annegret Kramp-Karrenbauer (beide CDU) an der Regierungsspitze im August, als die neue Regierungschefin zu ihrer Wahl zwei Anläufe brauchte, waren nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Selbst der Rücktritt von FDP-Fraktionschef Christian Schmitt kurz vor Weihnachten - am gleichen Tag wie FDP-Generalsekretär Christian Lindner in Berlin - hatte durch Aufnahme des Flüchtigen in die CDU-Fraktion die Koalition scheinbar retten können. Zumindest die numerische Mehrheit der Koalition im Landtag blieb erhalten.

Dass die FDP bei der Suche nach einem neuen Fraktionschef über den Jahreswechsel kaum einen Tag ausließ, ihre Selbstzerlegung voranzutreiben, war für Kramp-Karrenbauer der berühmte letzte Tropfen im überlaufenden Fass. Auf die neue Situation ist keine der Parteien wirklich vorbereitet, auch wenn schon seit Wochen im Hintergrund von vorsichtigem großkoalitionären Fühlerausstrecken gemunkelt wurde. SPD-Chef Maas gab sich in ersten Reaktionen noch staatsmännisch, sprach von Verantwortung seiner Partei. Aber in der SPD dürften sich die Stimmen für eine Große Koalition wie für schnelle Neuwahlen die Waage halten. Maas will nun »ernsthaft und verantwortungsbewusst« verhandeln, aus einer Position der Stärke. Dafür hat er am Samstag bei einer Sondersitzung des erweiterten Landesvorstands das Plazet - bei einer Gegenstimme - erhalten.

Die CDU, will sie ihre Macht erhalten, muss nun zum zweiten Mal binnen reichlich zwei Jahren mit einem Partner verhandeln, der alle Trümpfe in der Hand hat. Für Jamaika musste sie gegenüber den Grünen schmerzhafte Zugeständnisse machen. Das dürfte bei der SPD entsprechende Erwartungen wecken. Kramp-Karrenbauer wird unter CDU-Anhängern durch ihren riskanten Schritt zwar an Ansehen gewonnen haben. Immerhin hat sie sich handlungsfähig gezeigt. Inhaltlich konnte sie aber in dem guten halben Jahr seit ihrem Machtantritt in Partei und Regierung als Nachfolgerin von Peter Müller noch keine Akzente setzen. Der Raum für Zugeständnisse an die SPD ist damit extrem eng. Knackpunkte sind aus Sicht führender SPD-Leute die Sozial-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik.

Für Homburger eine Unverschämtheit

Viel Platz also für Sollbruchstellen. Und damit doch für den Weg zu Neuwahlen? Die fordert insbesondere Oskar Lafontaine. Der SPD dürfte es »schwerfallen« zu erklären, wieso ausgerechnet ein Neuanfang mit dieser CDU möglich sein solle, so der Chef der Linksfraktion. Ähnlich äußerte sich die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch. Die SPD müsse sich entscheiden, ob sie weiter in »die personell und konzeptionell ausgebrannte CDU investiert oder einen Neuanfang wagt«.

Die bisherigen Koalitionspartner FDP und Grüne waren von der Mitteilung über das Ende ihrer Zusammenarbeit gleichermaßen überrascht worden. FDP-Landeschef Oliver Luksic erreichte die Nachricht im Kreißsaal, wo seine Ehefrau Katharina eine Tochter zur Welt brachte. Die Reaktionen der Liberalen sind heftig. Dass Kramp-Karrenbauer der FDP ausgerechnet an dem Tag den Stuhl vor die Tür setzte, als Philipp Rösler beim Dreikönigstreffen die Notwendigkeit einer Regierungsbeteiligung erklärte, bezeichnete Parteivize Birgit Homburger als »Unverschämtheit«. Dennoch erwartet Lafontaine Debatten eher bei den Grünen. Die Koalition mit der CDU sei nach Hamburg nun schon zum zweiten Mal gescheitert. Der überrumpelte Grünen-Chef Hubert Ulrich hält nun Neuwahlen für »angebracht«.

Allein den Karnevalisten sprach die Regierungschefin am Sonntag Trost und Mut zu. »Diese Session wird spannend wie nie zuvor«. Unter großem Applaus entschuldigte sie sich, »dass der eine oder andere seine Büttenrede jetzt umschreiben muss«.

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