Kaum ein Patient nimmt Arzneimittel richtig ein

  • Dr. Marion Sonnenmoser
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Ein Kranker wird alles dafür tun, um wieder gesund werden. Er wird zum Arzt gehen und sich untersuchen, beraten und Medikamente verschreiben lassen. Dann wird er sein Rezept einlösen, die Medikamente vorschriftsmäßig einnehmen und alle Empfehlungen seines Arztes hundertprozentig befolgen. Das könnte man annehmen, es ist aber falsch.
Tatsächlich gibt es kaum einen Patienten, der eine Arzneimitteltherapie richtig durchführt. Die meisten Patienten machen unabsichtlich Fehler oder ändern den Therapieplan ganz bewusst - meist ohne, dass Arzt oder Apotheker davon erfahren. Etwa ein Fünftel der Rezepte wird nicht eingelöst, und schätzungsweise die Hälfte aller Medikamente gar nicht oder falsch angewandt. Bis vor wenigen Jahrzehnten war das kaum ein Problem. Es gab noch nicht so hochwirksame Medikamente, und manchmal war es sogar sinnvoll, bestimmte Behandlungen - wie den Aderlass - zu verweigern. Heute sieht das anders aus.
Viele Medikamente sind sehr wirksam. Doch sie verfehlen meist ihre volle Wirkung, weil sie nicht richtig angewendet werden. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die häufigste Ursache für mangelnde Therapietreue sind Ängste, Vorbehalte und Zweifel der Patienten. Sie misstrauen den Medikamenten und fürchten mögliche Nebenwirkungen. Außerdem haben viele Patienten eine andere Meinung zur Diagnose und Therapie als der Arzt. Die zweithäufigste Ursache ist eine schlechte Beziehung zwischen Arzt und Patient. Wenn der Patient kein Vertrauen zum Arzt hat, sich bevormundet und nicht verstanden fühlt, hält er sich auch nicht an die Therapieregeln. Viele Patienten wenden ihre Medikamente auch deshalb falsch an, weil sie nicht ausreichend oder falsch informiert wurden. Sie wissen nicht genau, wann oder wogegen sie die Medikamente einnehmen sollen. Besonders geistig oder körperlich beeinträchtigten Patienten fällt es schwer, sich genau an die Therapievorschriften zu halten. Für sie können zum Beispiel bestimmte Verpackungen, kindersichere Verschlüsse oder Inhalationsgeräte zu unüberwindbaren Hindernissen werden.
Die Bereitschaft zur Mitarbeit sinkt auch, wenn die Therapie kompliziert ist und nur schlecht in den Alltag eingebunden werden kann. Darüber hinaus fällt es Patienten mit bestimmten Krankheiten wie Alzheimer, Schizophrenie oder Arthrose besonders schwer, ihre Medikamente regelmäßig zu nehmen. Je länger eine Therapie dauert, desto stärker lässt die Therapietreue nach. Die verschriebenen Medikamente werden also teilweise unabsichtlich, teilweise aber auch absichtlich falsch eingenommen - Fachleute umschreiben den Sachverhalt mit mangelnder Compliance ( engl. = Einwilligung, Befolgung). Dies hat negative Auswirkungen für die Patienten selbst, aber auch für das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft.
Patienten, die ihre Medikamente falsch anwenden, müssen mit Komplikationen aller Art rechnen. Die Krankheit kann sich verschlimmern oder wiederkehren. Es können weitere Krankheiten hinzukommen. Das Gesundheitssystem wird stark belastet, weil zusätzliche Kosten für Medikamente und Therapien entstehen. »Allein die Medikamente, die nicht oder nicht richtig angewandt werden, kosten die Krankenkassen mehrere hundert Millionen Euro im Jahr«, erklärt die Apothekerin Sabine Heuer. Die Folgekosten für zusätzliche ärztliche Leistungen oder Krankenhausbehandlungen übersteigen diese Summe noch bei weitem. Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden in Deutschland liegt bei etwa 10 Milliarden Euro. Deshalb sollten nicht nur die Patienten verantwortungsvoller mit ihren Arzneimitteln umgehen. Auch die Ärzte und Apotheker müssen sich neue Konzepte überlegen, damit die P...

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