Gysi: Salto rückwärts

Der »Kulturreport« am späten Sonntagabend widmete ihm noch einen ironischen Nachruf. Da Sommerzeit Badezeit ist und weil Franzi, Ruppi und ihre Mitplanscher bei den aktuellen Schwimmeuropameisterschaften Deutschland viel Ehr erkrault und erhopst haben, fiel der Vergleich auch wassersportlich aus. Einen »Salto rückwärts« habe Gregor Gysi mit seinem Rücktritt von allen seinen politischen Ämtern vollzogen. In der journalistischen Metapher drückt sich immerhin noch Respekt aus, denn bei anderen Rücktretern oder Zurückgetretenen wie Özdemir oder Scharping fielen die Urteile weniger freundlich aus. Da war von »Bauchklatscher« oder gar von »Arschbombe« die Rede, nicht eben elegante Arten, den Sprung ins kalte Wasser zu vollziehen.
Es bedurfte schon des verbiesterten Gemütes eines achtzehnprozentigen Möchtegerns wie FDP-Gerhard bei »Sabine Christiansen«, um dem aus freien Stücken aus der parlamentarischen Politik geschiedenen Berliner Ex-Senator den Respekt zu versagen. Die Flugmeilen allein können es doch nicht gewesen sein. Dafür wirft kein Politiker das Handtuch! CDU-Meyer wollte dem parteiliberalen Kollegen nicht nachstehen. Nein, echote er, da stecke vermutlich mehr dahinter. Frust über die unlösbaren Wirtschaftsprobleme in der Bundeshauptstadt vielleicht, oder, oder...
Die zweite Hälfte der vergangenen Woche gehörte im deutschen Fernsehen jedenfalls noch einmal dem kleinen Gregor mit der früher von den Medien so geschätzten großen Klappe, der sich selbst eher besinnlich äußerte. »Überzogen« fanden die meisten Politikerkollegen den Rückzug wegen der paar Peanuts aus dem Bundesetat, die noch dazu ja eigentlich übrig waren, ein Werbegeschenk der führenden deutschen Fluglinie für ihre Stammkunden, meist Führungskräfte der Wirtschaft oder eben Politiker. Wer hat nicht schon mal eine Dienstreise falsch abgerechnet, und wenn man dann schnell beichtet und den Betrag an wohltätige Organisationen spendet, kann man sich der Absolution des Bundestagspräsidenten sicher sein. Der weiß nämlich: Politiker sind auch nur Menschen, unser aller Vertreter, denn wir sind das Volk und sie die Volksvertreter.
Und darum schreckte auch dieser Rücktritt Freund und mehr noch Feind des roten Berliner Wirtschaftssenators auf. Mitten im Zentrum des Sommerloches, wo sonst meist Nessi aufzutauchen pflegt, tauchte Gysi ab. Am Donnerstag schickten die Ereignis- und Dokumentationskanäle ihre Reporter, die zur Stallwache in den sommerlich verwaisten Redaktionsbüros zurückgeblieben waren, ins Rat- und Abgeordnetenhaus. »Gysi-Gau« titelte der Berliner Landessender und sandte gleich noch einen mit heißer Nadel verfertigten politischen Nachruf in den Äther. Schon war er wieder da, der Verdacht: Wer tritt schon zurück, nur weil er sich ein paar zusätzliche Privilegien angeeignet hat?! Läuft da nicht gerade wieder das vor jeder Wahl - ob Bund, ob Land - angestrengte Untersuchungsverfahren gegen Gysi im Hause Birthler? Haben die ihn diesmal endlich überführt, den verräterischen Notar?
Nein, meint der aus dem Urlaub aus Griechenland herbeigeeilte Regierende, da sei nichts dran, und er bedauere den Rücktritt. Kein Grund für die Medien, den Verdacht nicht immer noch mal wieder aufzukochen. Etwas bleibt immer hängen. Und was mache denn nun der Berliner Senat? Könne man einer Partei mit so unsicheren Kantonisten an der Spitze das Senatorenamt weiter überlassen? Kann man, beschloss der Senat, »PDS kann weiter wirtschaften«, stand in der »Berliner Zeitung«, und schon kreiste auf allen Kanälen das Personalkarussell. Vielleicht der Wolf? Der gab sich sibyllinisch zweideutig, und in den Hintergrund seines Interviews für Phoenix drängte sich, nicht zu übersehen, der JFK von der Spree. Wenn ihn schon niemand fragte, wollte Frank bin Teppichladen wenigstens zu sehen sein. Für die Pressekonferenz aus dem Karl-Liebknecht-Haus wurde sogar das Programm geändert. PDS-Politiker waren gefragt an diesem historischen Donnerstag, ob Zimmer oder Pau oder Wolf oder Bartsch.
Aber auch Steffels Stunde kam, wie die von Rexroth (freilich nur zum Verarschtwerden bei »extra 3«, aber in Wahlkampfzeiten ist es wichtig, überhaupt auf Sendung zu sein) und die von all den anderen, die nun alle ganz genau wussten, was hinter Gysis Rückzug stand und wie die Berliner Landespleite zu kurieren sei, alles mit dem unschuldigen Gesicht von Schneewittchen, das eben aus hundertjährigem Schlaf erwacht ist. Denn was haben sie mit den Schulden der Stadt zu tun? Und Gysis Schritt können sie nicht verstehen, denn sind das nicht alles lässliche Sünden, für die Gysi die politischen Fleppen hingeschmissen hat? Und verdienen Politiker nicht mehr Vertrauen? Und nicht mehr Kohle auf die Kralle? Meint wenigsten Laurenz Meyer, und der kommt aus der Freien Wirtschaft und muss es deshalb wissen, und der politische Anwalt der Besserverdienenden stimmt ihm vehement zu. Und wir sollten zum Wählen gehen, mahnt uns Sabine Christiansen, die Mutter Teresa des deutschen Fernsehtalks, in einem Schlusswort zum Montag.
Also selber Schuld am S...

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