Verfassungsschutz will V-Leute in der Deckung halten

Prozess gegen »Skinheads Sächsische Schweiz« gleich nach Auftakt vertagt

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Im Strafverfahren gegen die rechtsextremistische Gruppierung SSS soll nicht über V-Leute des Verfassungsschutzes geredet werden dürfen. Die Verteidigung will deshalb den Prozess platzen lassen.

Zunächst begann der erste Prozesstag verspätet, weil einer der Angeklagten den Weg zum Gericht nicht gefunden hatte; dann war die Verhandlung nach der Feststellung aller Personalien schon wieder beendet. Wohl nicht umsonst sind im ersten Verfahren gegen die »Skinheads Sächsische Schweiz«, in dem sieben junge Männer aus Pirna und Umgebung der Bildung einer kriminellen Vereinigung bezichtigt werden, bereits je zwei Termine pro Woche bis zum Jahresende angesetzt. Der Prozess verspricht langwierig zu werden.
Dafür sorgt nicht nur das umfangreiche Ermittlungsmaterial. Es füllt 24 im Gerichtssaal aufgereihte Aktenordner und eine über 70-seitige Anklageschrift, die nun erst am Mittwoch verlesen werden kann, weil ein Verteidiger gestern die kurzfristige Umbesetzung des Gerichts monierte. Auch um weitere Verfahrensfragen wird es heftiges Tauziehen geben.
Zu einer Hürde für den Prozess könnte dabei die Weigerung des sächsischen Innenministeriums werden, Auskunft über mögliche V-Leute unter den Zeugen zu geben. Die mit dem SSS-Prozess befasste 3. Strafkammer des Dresdner Landgerichtes hatte in dieser Angelegenheit beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) angefragt. Am 15. Juli gab das sächsische Innenministerium jedoch eine »Sperrerklärung« ab, wie Sprecher Thomas Uslaub gestern bestätigte: Über mögliche Mitarbeiter des Verfassungsschutzes unter den Verfahrensbeteiligten dürfe im Prozessverlauf keine Auskunft erteilt werden. Begründet wird das mit der »Geheimhaltung als Funktionsprinzip« geheimdienstlicher Arbeit.
Die Verteidiger der 24- bis 30-jährigen Angeklagten beantragen nun die Einstellung des Verfahrens. Sie sehen wegen der »Verweigerungshaltung« von LfV und Ministerium ein rechtsstaatliches Verfahren »nicht mehr gegeben«: Der Prozess werde »zur Farce«, meint Anwalt Carsten Schrank. Wenn die Staatsanwaltschaft die SSS als kriminelle Vereinigung ansehe, sei es von »überragender Bedeutung«, die mögliche Rolle von V-Leuten in deren Reihen zu klären.
Unübersehbar sind die Parallelen zum NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Dieses droht zu platzen, weil mehrere NPD-Vorständler als V-Leute enttarnt wurden und mögliche weitere Quellen des Verfassungsschutzes geheim gehalten werden sollen.
Ein Vertreter der Nebenklage warf der Verteidigung indes vor, die Frage der V-Leute zu instrumentalisieren: »Ihnen geht es weniger um die Sache als darum, in diesem Punkt zu agitieren.« Ein Kollege ergänzte, die Frage solle verhandelt werden, wenn sie sich im Verfahrensverlauf erstmals konkret stelle. Laut dem Vorsitzenden Richter Tom Maciejewski erwägt das Gericht, LfV-Präsident Reinhard Boos als Zeuge zu hören.
Die 1996 gegründete rechtsextreme SSS war im April vorigen Jahres vom Innenministerium verboten worden. Die Zulässigkeit des Verbots wird derzeit vom Oberverwaltungsgericht geprüft. Die Organisation hatte laut Staatsanwaltschaft mindestens 77 Mitglieder und rund 300 Sympathisanten. Ihre enge Verbindung zur NPD wurde auch gestern offenkundig: Deren Kreisvorsitzender Uwe Leichsenring, ein Fahrlehrer und Gemeinderat aus Königstein, gehörte zu den Besuchern der Verhandlung.
Ziel der SSS war es, die Sächsische Schweiz von Linken und Ausländern zu »säubern«. Dass es dabei zu teils brutalen Überfällen kam, ist unstrittig. Ob erstmals eine Skinhead-Kameradschaft auch als kriminelle Vereinigung eingestuft wird, muss sich nun im Verfahren zeigen.
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