nd-aktuell.de / 14.01.2012 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Flutung der Banken

Geldpolitik der Europäischen Zentralbank sorgt für Entspannung bei Staatsanleihen

Kurt Stenger
Die Situation auf den Märkten für europäische Staatsanleihen hat sich seit Jahresbeginn etwas beruhigt. Die Banken müssen mit ihrem vielen Geld irgendwohin.

Wohin geht jemand, der sich Geld leihen möchte und im Unterschied zu Christian Wulff keine flüssigen Freunde hat? Zur Bank. Die Kreditinstitute machen es normalerweise genauso. Doch seit geraumer Zeit verleihen sie an andere Banken kein Geld mehr. Sie trauen sich gegenseitig nicht über den Weg, da man die Risiken der anderen etwa mit Staatsanleihen von Euro-Krisenländern nicht kennt. Dabei wären flüssige Mittel in großem Stil vorhanden. So erreichten die eintägigen Einlagen der Geschäftsbanken bei der Europäischen Zentralbank zum Wochenschluss einen neuen Rekordwert von 489,9 Milliarden Euro, wie die EZB am Freitag mitteilte.

Die dramatische Lage am Interbankenmarkt hatte die EZB dazu bewogen, kurz vor Weihnachten den Banken eine gewaltige Summe von knapp 500 Milliarden Euro für drei Jahre anzubieten; Ende Februar soll es eine zweite Runde geben. Üblicherweise verleiht die Notenbank Geld nur für bis zu drei Monate. Offiziell begründet wurde das Vorgehen damit, dass wegen der Austrocknung des Interbankenmarktes eine Kreditklemme für die europäische Wirtschaft drohe. Allerdings musste EZB-Präsident Mario Draghi einräumen, dass die Banken selbst entscheiden, was sie mit den frischen Mitteln machen.

Ob die Institute das zusätzliche Geld vor allem der Realwirtschaft zu günstigen Kreditkonditionen zur Verfügung stellen, was angesichts der Rezession in Teilen des Euroraums ein wichtiges Stabilisierungsmoment sein könnte, ist fraglich. Als Folge der Finanzmarktturbulenzen treten im Euroraum demnächst verschärfte Eigenkapitalvorschriften in Kraft. Und je mehr Geld eine Bank als Kredit vergibt, desto mehr des schwer zu beschaffenden Kapitals müssen sie vorhalten. Daher bringen die Banken offenbar einen Teil der Liquiditätsflut, die kaum Inflationsrisiken birgt, lieber zur EZB zurück, wie der Anstieg bei den eintägigen Einlagen zeigt.

Die Kapitalspritze scheint auch eine zweite, durchaus erwünschte, Folge zu zeitigen. Zur Schuldenkrise im Euroraum war es nur gekommen, weil Investoren immer mehr Ländern frisches Geld nur noch zu extrem hohen Zinsen oder gar nicht mehr leihen wollten. Seit der Jahreswende ist es indes zu einer spürbaren Entspannung gekommen. Italien und Spanien konnten am Donnerstag problemlos Staatsanleihen zu deutlich niedrigeren Zinsen platzieren. Deutschland und die Niederlande brachten unlängst erstmals sogar Papiere zu minimal negativen Zinsen an den Mann. Investoren sind also bereit, für als ganz sicher geltende Anleihen draufzuzahlen.

Dies ist jedoch nur eine Momentaufnahme. Sollte die Stimmung auf dem Markt wieder kippen - etwa wegen der unübersichtlichen Lage bei der Umschuldung Griechenlands -, könnten die Probleme schockartig zurückkehren. Linke Ökonomen wie Lucas Zeise oder Heiner Flassbeck haben deshalb einen bestechend einfachen Lösungsvorschlag: Statt den unsicheren Umweg über die Banken zu nehmen, sollte die EZB das viele Geld lieber gleich den Krisenländern zur Verfügung stellen.

Lexikon

Die Einlagefazilität ist ein geldpolitisches Instrument der Europäischen Zentralbank, die damit überschüssige Liquidität vom Geldmarkt abschöpft. Geschäftsbanken haben bei den nationalen Notenbanken des Euroraums ein Tagesgeldkonto, das mit derzeit 0,25 Prozent per annum nur minimal verzinst wird. In normalen Zeiten summieren sich die eintägigen Einlagen auf einstellige Milliardenbeträge. nd