»Wir haben es satt!« am Sonnabend

Berlin 21. Januar: »Wir haben es satt! Bauernhöfe statt Agrarindustrie« - Demonstration

  • Lesedauer: 4 Min.
Sarah Wiener ist Köchin mit Restaurant in Berlin und eigener Fernsehsendung.
Sarah Wiener ist Köchin mit Restaurant in Berlin und eigener Fernsehsendung.

Unter dem Motto »Wir haben es satt!« findet am Sonnabend in Berlin zum zweiten Mal die Großdemonstration für eine sozial-ökologische Neuorientierung der Agrarpolitik statt. Ein zentraler Aspekt ist die Forderung nach dem Ausstieg aus der Massentierhaltung. Die Kritik an der industriellen Landwirtschaft wächst. Über 33 000 Menschen, darunter 500 Professoren, fordern mit einem Appell eine Richtungsänderung des Landwirtschaftsministeriums. Vier Kritiker von »Tierfabriken« haben bei einem - regional-saisonalen, veganen - Mittagessen aus ganz verschiedenen Perspektiven erklärt, warum ein Umdenken nötig ist. Ralf Hutter hat die Beiträge aufgezeichnet.

Machtlose Erzeuger

In der Massentierhaltung werden Stress und Verletzungen systematisch in Kauf genommen. In der Kurzmast für Brathähnchen sind 39 Kilogramm Lebendgewicht pro Quadratmeter erlaubt, das sind rund 23 Hähnchen. Wir haben viele informelle Kontakte mit Erzeugern und haben Hähnchenmäster gefragt: »Was müsstet ihr tun, um aus diesem System rauszukommen?« Sie haben geantwortet: »Wenn wir auf 25 Kilogramm runtergehen, müssen wir pro Kilo 15 Cent zusätzlich erlösen.« Und das bei einem momentanen Gewinn von vier bis acht Cent pro Huhn. Es ist schwierig, solch einen Preisanstieg in der gesamten Wertschöpfungskette durchzusetzen.

Mäster, die gerne anders produzieren würden, sagen, sie können das aus wirtschaftlichen Gründen nicht. Viele Landwirte wollen raus aus der Intensivierungsspirale, aber sie sind das schwächste Glied. Die Verantwortung liegt bei den Fleischerzeugern und beim Handel. Die Bauern sind zumeist nur Lohnmäster für Konzerne, die alles aus einer Hand machen: Sie liefern die Küken, das Futter samt Zusätzen und schlachten auch selbst. Einem Landwirt mit 40 000 Mastplätzen, was 300 000 Tieren im Jahr entspricht, bleiben 18 000 Euro Jahreslohn. Das ist also nur ein Nebenerwerb. Im »Kritischen Agrarbericht« finden sich Zahlen, die in der Branche inoffiziell bestätigt werden: 25 Prozent der Hähnchenmäster können kostengünstiger als die anderen produzieren, etwa weil sie Futter oder Wärme selbst erzeugen, und machen Gewinne. Ein Viertel der Mäster aber zahlt noch drauf. Die Erlöse in der Branche sind so gering, dass Betriebe, die für nötige Investitionen Kredite aufnehmen, unter Umständen jahrelang nur für die Bank arbeiten.

Fotos aus Tierställen am Ende der Mast, die Fleischprodukten beiliegen, würden das Konsumverhalten der Verbraucher wohl drastisch ändern.


Ethische Landwirtschaft!

Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Argumente für die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Form der Tierindustrie. Es gibt vielmehr eine Fülle von Gegenargumenten. Zum einen betrifft das die Auswirkungen auf Klima, Umwelt und Gesundheit. Zum anderen ist Massentierhaltung auf Grund der Tierquälerei moralisch inakzeptabel. Dieser Punkt liegt mir als Philosophin besonders am Herzen. Ich kenne keine Philosophin und keinen Philosophen, dem oder der jemals eine Rechtfertigung solcher Quälerei eingefallen wäre. Auch das Tierschutzgesetz verbietet ja unnötiges Leid. Dennoch wird genau das massiv finanziell gefördert. Unter anderem dank der EU-Subventionen hat sich die Geflügelfleischproduktion in Deutschland seit 2000 fast verdoppelt, die Produktion von Schweinefleisch ist um 45 Prozent gestiegen.

Es geht uns mit dem Appell um einen grundsätzlichen Kurswechsel, nicht um Reförmchen: Die ethische Dimension unseres Umgangs mit Tieren muss einen zentralen Platz in der Landwirtschaftspolitik finden. Die tierquälerische und umweltzerstörerische Massentierhaltung gehört abgeschafft.


Versteckte Kosten

»Was kostet ein Schnitzel wirk-lich?« So beti- telten wir vor einigen Jahren eine Studie über die versteckten Kosten der Massentierhaltung. Viele Produktionskosten werden gesellschaftlich getragen, etwa die Wasserbelastung mit Nitraten und Pflanzenschutzmitteln oder die Emission von Methan, die den Klimawandel befördert. Wenn alle Kosten in den Preis des Endproduktes eingehen würden, würden sich konventionelle Produktionsweisen stärker verteuern als biologische. Der Unterschied bei den Verbraucherpreisen zwischen diesen beiden Produktionsweisen ergibt sich vor allem auf der Verarbeitungs- und Vertriebsebene. Auf der Erzeugerebene ist der Preisunterschied viel geringer. Das aktuelle Niveau des Fleisch- und Milchkonsums in der EU ist nicht nachhaltig. Eine solche Einpreisung könnte dazu führen, den Verbrauch zu senken und somit nachhaltiger zu machen.


40 Jahre Exzess

Bei der Frage, was gutes Essen ausmacht, antworten immer alle Köche: Es kommt auf die Qualität an. Doch was bedeutet Qualität? Diese Frage hat mich radikalisiert. Wer soll sich sonst für gutes Essen einsetzen, wenn nicht die Köche? Ein Hamburger Großmarkthändler sagte mir einmal: »In Deutschland verkaufe ich leider nur nach Aussehen und Lagerfähigkeit, nicht nach Qualität.«

Wir brauchen einen Wertewandel. Gewinnmaximierung darf in der Landwirtschaft nicht der Leitwert sein, Boden darf nicht nur unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. Für Gerechtigkeit bei der Preisbildung muss die Politik sorgen. Wenn alle versteckten gesellschaftlichen Kosten mit eingerechnet würden, wäre ein Massenhaltungshähnchen viel teurer als ein Biohähnchen.

Wir haben die letzten 40 Jahre konsumiert und geschlemmt in einem exzessiven Moment der Geschichte. Bald werden wir gezwungen sein, einer ganz anderen Landwirtschaft nachzugehen.

Wir sollten auch alle besser kochen lernen. Was man zum Beispiel alles mit Pastinaken und Kalbszungen machen kann! Ich selbst werde mehr Vegetarisches kochen.

Stefan Johnigk ist Biologe, forschte an der Universität Kiel und ist seit 2008 Geschäftsführer des Nutztierschutzverbands ProVieh.
Stefan Johnigk ist Biologe, forschte an der Universität Kiel und ist seit 2008 Geschäftsführer des Nutztierschutzverbands ProVieh.
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