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Zwei für die Big Points

Handball-EM: Wie beim 24:23-Erfolg gegen Mazedonien sollen es die deutschen Torhüter auch heute gegen Schweden richten

  • Erik Eggers, Niš
  • Lesedauer: 3 Min.

Carsten Lichtlein hatte sein Ritual wie immer abgespult. Der Torwart der deutschen Handball-Nationalmannschaft hatte 45 Minuten lang Musik gehört, Songs der schwedischen Popbarden ABBA und »Eine Kleine Nachtmusik« von Wolfgang Amadeus Mozart. Und dann war er hinausgegangen in die Hölle von Niš - empfangen von einem Pfeifkonzert von 4500 fanatischen mazedonischen Fans. Aber Carsten Lichtlein ließ sich nicht irritieren von den Gesängen, auch nicht durch die Feuerzeuge, die ihm um die Ohren flogen, er hielt wie ein Teufel, Mozart und ABBA sei Dank.

Es war nur eine von vielen Geschichten des 24:23 (12:12)-Erfolges gegen Mazedonien, der der Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) den Weg in die Hauptrunde bei der 10. EM in Serbien offenhält: Ein Sieg heute gegen den WM-Vierten Schweden, und sogar die Olympiateilnahme wäre wieder greifbar. Eine andere Geschichte war, dass Kapitän Pascal Hens (HSV) nur auf der Bank saß. Ihn ersetzte Lars Kaufmann (SG Flensburg), der Mann mit dem Raketenwurf. Auch die zwei Tore am Ende durch den wuchtigen Kreisläufer Patrick Wiencek waren spektakulär, da der Kreisläufer aus Gummersbach erst in der hitzigen Schlussphase in die »Schlacht« geworfen worden war.

Auch mit der unpopulären Maßnahme, den Lemgoer Lichtlein im Tor beginnen zu lassen, hatte Bundestrainer Martin Heuberger großen Mut gezeigt, gilt Silvio Heinevetter (Füchse Berlin) unter vielen Beobachtern doch als Nummer Eins. In solchen Kategorien denkt Heuberger jedoch nicht. Nach dem Spiel erklärte er trocken: »Bei uns gibt es keine Zwei-Klassengesellschaft. Wir brauchen den ganzen Kader.«

Der Trainer hatte alles richtig gemacht gegen Mazedonien. Als er Heinevetter für Lichtlein gebracht hatte, sieben Minuten vor Schluss, hielt der Berliner einen Strafwurf gegen Kiril Lazarov, den Rückraumstar von Atlético Madrid. Die Mazedonier kamen mit Heinevetters unorthodoxem Torwartstil nicht zurecht, scheiterten plötzlich bei Tempogegenstößen. »Silvio hat, als er kam, die Big Points für uns gemacht«, konstatierte Heuberger am Tag danach.

Es scheint also kein Problem, dass Heinevetter und Lichtlein verschieden sind wie Tag und Nacht. Der Berliner trägt sein Herz auf der Zunge und gibt sich keine Mühe, seinen Ärger darüber zu verbergen, wenn er auf der Bank Platz nehmen muss. Bei der Vorstellung des Teams hatte er regungslos dagestanden, bösen Blickes. Und nach dem Sieg war er wortlos in die Kabine marschiert. »Natürlich war ich frustriert, weil ich nicht in der Startformation war«, sagte der Berliner.

Heinevetter sei ein Individualist, sagt Torwarttrainer Andreas Thiel. »Es gibt halt Torhüter, die ein gewisses Maß an Egozentrik brauchen, um sich zur besten Leistung zu treiben.« Thiel ist Fan von Heinevetters Art zu halten. »Er macht verrückte Sachen, ist dadurch unberechenbar. Außerdem mag ich die Typen, die angreifen, schreien, aggressiv sind.« Der introvertierte Lichtlein hingegen »ist ein absoluter Teamplayer«, sagt Thiel. Dass beide Keeper ihre Einsätze bekommen, findet Lichtlein normal. »Ein ganzes Turnier auf hohem Niveau zu halten, das geht nicht, wir sind keine Maschinen.«

Und so hoffen die Trainer, dass sich das gegensätzliche Duo auch heute im wichtigen Vorrundenendspiel gegen Schweden perfekt ergänzt: Exzentriker Heinevetter und der Ruhe und Gelassenheit ausstrahlende Lichtlein, der Mann für die Kleine Nachtmusik.

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