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In Algerien blieb der Frühling aus

Vor den Parlamentswahlen im Februar hat die Regierung dennoch nur wenig Zuspruch

  • Astrid Schäfers
  • Lesedauer: 3 Min.
Der arabische Frühling ist an Algerien nicht spurlos vorbeigezogen. Vermehrt kommt es zu Protesten, die von Sicherheitskräften niedergeschlagen werden. Bisher haben sie jedoch nicht ein Ausmaß angenommen wie in den östlichen Nachbarländern. Dennoch gibt es Anzeichen einer Schwächung der Regierung vor den vorgezogenen Parlamentswahlen im Februar.

»Arbeiter in die Posten« riefen junge Arbeiterinnen und Arbeiter der unabhängigen Gewerkschaft der öffentlichen Verwaltung (Snapap), die vergangene Woche aus dreißig Städten nach Algier kamen. Ihr Sit-In vor dem Bildungsministerium wurde von der Polizei gewaltsam beendet. Die zum größten Teil diplomierten Beschäftigten im »préemploi«, einem gering bezahlten und prekären Arbeitsverhältnis, forderten die Abschaffung der »préemploi«. Die Vorsitzende der Kommission, Filal*, wurde nach der Demonstration verhaftet. Zwei Tage später kam es zu einem Generalstreik des Krankenhauspersonals in der südalgerischen Stadt Laghouat. Gleichzeitig demonstrierten dort Tausende gegen die Praxis der Vergabe von Sozialwohnungen durch den Bürgermeister.

Zu einem Aufstand ist es bisher in Algerien unter anderem deswegen nicht gekommen, weil die Gewerkschaften sich auf Lohnforderungen beschränken und die Regierung von Präsident Abdelaziz Bouteflika nicht attackieren - anders als in Tunesien, wo die Gewerkschaft UGTT geschlossen zum Sturz von Präsident Ben Ali aufgerufen hatte.

Zu massiveren Protesten war es lediglich vor einem Jahr, im Januar 2011, infolge von Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel gekommen. Im Zuge dieser Proteste entstand das Koordinationskomitee für einen demokratischen Wandel (CNCD), das bis März 2011 jeden Sonnabend in Algier für einen Regimewechsel demonstrierte.

Warum haben die Märsche des CNCD nicht zu einem Aufstand geführt? »Weil sie von 40 000 Polizisten blockiert wurden. Aber vor allem weil es nur eine Minderheit war, die demonstriert hat. Der Großteil der Bevölkerung nahm nicht daran teil«, erzählt Hassene* B., ein ehemaliges Mitglied der Oppositionspartei Vereinigung für Kultur und Demokratie (RCD).

Deren Mitglieder, der Verein »SOS Verschwundene«, die Algerische Liga zur Verteidigung der Menschenrechte und unabhängige Gewerkschaften schlossen sich zum CNCD zusammen. »Sie haben sich gefragt, Ben Ali in Tunesien ist gegangen, Mubarak ist gegangen, warum nicht auch Bouteflika?« sagt Hassene. In der Bevölkerung ist Kritik an der herrschenden Schicht aus Funktionären, Geheimdienst und Militär, die sich an den Öleinnahmen des Staates bereichert, weit verbreitet.

Die Teilnahme von Mitgliedern der RCD an den Demonstrationen des CNCD schwächte die Bewegung aber. »Man wirft der RCD Verwestlichung vor. Viele Algerier verstehen die Forderung nach Trennung von Religion und Staat nicht. Sie denken, Laizismus bedeutet, nicht an Gott zu glauben«, erläutert Hassene weiter. Bei vielen Algeriern hat die RCD auch deswegen an Glaubwürdigkeit verloren, weil sie 1999 dem Amnestiegesetz der Regierung Bouteflika zur Beendigung des Bürgerkriegs zustimmte.

Der Großteil der Bevölkerung hat das Vertrauen in das korrupte politische System verloren und resigniert. Auch sind viele Algerier noch von dem blutigen Bürgerkrieg traumatisiert. Bouteflika sprach stets von einem dritten Weg, einer Demokratie mit islamischen Werten. Anfangs fand er große Zustimmung in der Bevölkerung, die aber aufgrund der Verschlechterung der sozialen Lage stark abgenommen hat.

Vor diesem Hintergrund hofft die Gesellschaftliche Bewegung für den Frieden (MSP), aus den vorgezogenen Parlamentswahlen im Februar als Siegerin hervorzugehen. »Heute stellen sich Islamisten wie Aboudjera Soltani, der Vorsitzende der MSP, zur Wahl, die in der Vergangenheit Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben«, erklärt Hassene. »Die MSP ist außerdem ein geschlossener Klub von Reichen, der für einen Staat mit islamischen Werten eintritt.« Zu den Chancen der MSP, die Wahlen zu gewinnen, sagte der Politologe Rachid Grim gegenüber »El Watan«: »Der Islamismus ist bei uns schon an der Macht. Er ist Teil der Regierung. Aber wird er als Gewinner aus den kommenden Wahlen hervorgehen?« Bei den Wahlen 2007 übrigens lag die Wahlbeteiligung bei 35,5 Prozent, niedrig wie selten seit der Unabhängigkeitserklärung 1962.

*Namen aus Sicherheitsgründen geändert

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