Landesvater als Kriegsverbrecher?

Niedersachsens erster Ministerpräsident war NS-Enteignungskommissar im besetzten Polen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Stadt Hannover soll den Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz vor dem Landtagsgebäude umbenennen. Das will DIE LINKE im Rat der Landeshauptstadt fordern. Grund dafür ist die nationalsozialistische Vergangenheit des ehemaligen Ministerpräsidenten.

Hohe Ehren wurden ihm zu Lebzeiten zuteil, unter anderem das Großkreuz der Bundesrepublik, und auch anlässlich seines Todes im Dezember 1961 war man des Lobes voll für Hinrich Wilhelm Kopf, den ersten Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen. Vor einigen Wochen, 50 Jahre nach seinem Ableben, erging sich die politische Spitze des Landes am Grabe des SPD-Mannes ebenfalls in großen Worten. Als »Vorkämpfer und Wegbereiter« würdigte Ministerpräsident David McAllister (CDU) seinen Amtsvorfahren. Kopf habe »in schwierigen Zeiten beispielhaftes geleistet«, sagte sodann Landtagspräsident Dinkla (CDU). Er persönlich präsentierte der Öffentlichkeit unlängst eine Arbeit, die ein so gar nicht ehrenvolles Wirken Kopfs erwähnt: die Untersuchungsergebnisse der »Historischen Kommission« zur NS-Vergangenheit ehemaliger Landtagsabgeordneter (»nd« berichtete).

Zur Zeit des Nazi-Terrors hatte Kopf von 1940 bis 1943 in der »Haupttreuhandstelle Ost« gearbeitet. Deren Aufgabe war es, im besetzten Polen das Vermögen polnischer Bürger zu beschlagnahmen und zu verwerten - und Teile der Bevölkerung, darunter viele Juden, »auszusiedeln«. Kopf war als »Enteignungskommissar« für den Raum Lublin zuständig. Nach dem Krieg setzte eine internationale Kommission Hinrich Wilhelm Kopf auf die Kriegsverbrecherliste der Kategorie A. In ihr wurden Personen erfasst, von denen die Kommission annahm, dass sie Verbrechen begangen hatten oder für Verbrechen verantwortlich waren.

Anfang 1948 beantragte die polnische Regierung die Auslieferung Kopfs. Die Vorwürfe gegen ihn wogen schwer. Der Autor Richard Wiegand hat in seinem Buch »Wer hat uns verraten?« auf mehreren Seiten zusammengefasst, was Kopf von polnischer Seite zur Last gelegt wurde. So soll er an der Verschickung von Menschen in Konzentrationslagers beteiligt gewesen sein; er sei als »fanatischer Nazi und glühender Polenhasser« in Erscheinung getreten. Polnische Arbeiter habe Kopf rücksichtslos drangsaliert, schwer misshandelt, ausgepeitscht. Der polnische Zeuge Edward Miara gab 1948 eine eidesstattliche Erklärung ab, in der es heißt: Kopf habe »persönlich die Erhängung eines Polen mit Namen Wladislaw Idas veranlasst«. In Zeitungsberichten aus dem Frühjahr 1948 ist zu erfahren, Kopf habe sich seine luxuriöse Wohnungseinrichtung aus konfiszierten polnischen und jüdischen Gütern zusammengestellt. Ein Artikel schließt mit der Forderung: »Kopf gehört auf die Anklagebank«.

Doch dazu kam es nicht. Hinrich Wilhelm Kopf, mittlerweile im »Westen«, wies alle Vorwürfe zurück. Zur Arbeit in der Haupttreuhandstelle Ost sei er - seinerzeit Teilhaber einer Maklerfirma - dienstverpflichtet worden, und dagegen habe er sich gewehrt. Er sehe sich einer Diffamierungskampagne ausgesetzt, gehöre offenbar zu jenen Sozialdemokraten - Kopf war seit 1919 in der SPD - , die »von der Presse der Ostzone auf eine schwarze Liste gesetzt« worden seien.

Der britische Oberbefehlshaber im besetzten Deutschland, General Robertson, kam schließlich trotz aller belastenden Informationen aus Polen zu der Ansicht, die Beschuldigungen gegen Kopf seien »nicht ausreichend«. Fazit: keine Auslieferung. Für Hinrich Wilhelm Kopf war damit der Weg frei für seine politische Karriere. Die britische Militärregierung bestimmte ihn 1946 zum Ministerpräsidenten. Bis 1955 war Kopf Regierungschef in Niedersachsen, ein Amt, das er auch von 1957 bis 1961 ausübte.

Schulen, Straßen und eine Kaserne wurden nach Hinrich Wilhelm Kopf benannt - und auch der Platz vor dem Leineschloss, dem Sitz des Landesparlaments. »Der Landtag ist der zentrale Ort der parlamentarischen Demokratie in Niedersachsen - er sollte eine Adresse haben, die zu den Ansprüchen dieses Parlamentes passt «, forderte Kreszentia Flauger, die Vorsitzende der Linksfraktion im Landtag.

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