Merkels Weg zum Bonapartismus

Mehr Bürgerbeteiligung ist eine Forderung, die auch von rechts geäußert wird

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Bürgerbeteiligung ist nicht nur eine Forderung, die von Links kommt. Das jedenfalls meint der Soziologe Thomas Wagner. Auch rechte Parteien versuchen damit zu punkten.

»Ihre Ideen und Vorschläge sind mir wichtig. Ich freue mich auf Ihre Ideen.« Dieses Zitat von Kanzlerin Angela Merkel kann man auf der Homepage https://www.dialog-ueber-deutschland.de nachlesen. Drei Fragen sollen im Mittelpunkt stehen: Wie wollen wir zusammen leben? Wovon wollen wir leben? Wie wollen wir lernen? Merkel: »Jeder kann seine Ideen vorschlagen oder auf gute Praxisbeispiele hinweisen. Diese Vorschläge können dann wiederum kommentiert und bewertet werden.«

Für den Soziologen Thomas Wagner ist dieser Bürgerdialog im Netz das Beispiel eines »demokratisch verkleideten autoritären Regierungsstils«. »Seit den Tagen von Napoleon III. vor mehr als 150 Jahren wird diese Form des direkten Dialogs zwischen Regierenden und Bevölkerung auch Bonapartismus genannt«, erklärte Wagner am Mittwochabend auf einer Veranstaltung in Berlin. »Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus« lautet auch der Titel eines Buches, das Wagner jüngst veröffentlicht hat.

Dort hat er sich kritisch mit verschiedenen Modellen der Bürgerbeteiligung auseinandergesetzt, die sich zuletzt parteiübergreifend großer Beliebtheit erfreuten. Als ein Beispiel dafür nennt Wagner den Verein »Mehr Demokratie«, der sich für mehr Volksentscheide einsetzt. Nicht nur Politiker der LINKEN und der Grünen, sondern auch führende Politiker von FDP und Union haben dem Verein zu ihrem zwanzigsten Jubiläum gratuliert.

Für eine Direktwahl des Bundespräsidenten und damit für ein Mehr an Demokratie plädiert beispielsweise auch der konservative Politologe Hans Herbert von Arnim. Er befürwortet einen Machtzuwachs des Staatsoberhauptes. Diese Forderung wird seit Jahren von verschiedenen Rechtsaußenparteien erhoben. »Unserer Ansicht nach sollte der Bundespräsident auch mehr als nur eine repräsentative Funktion haben, um ein Gegengewicht zu dem von zahlreichen Sonderinteressen beherrschten Parteienstaat bilden zu können«, erklärte 2007 zum Beispiel der parlamentarische Geschäftsführer der sächsische NPD-Fraktion, Johannes Müller.

Diese Polemik wird von Konservativen immer wieder geäußert. Wagner nennt eine solche Form der Parlamentskritik eine »plebiszitär abgesicherte Elitenherrschaft«. Dabei gehe es vor allem darum, den Einfluss organisierter Interessenvertretung von Lohnabhängigen oder Erwerbslosen zu minimieren, betont er.

Bürgerbeteiligung als Vehikel für eine Verfestigung von Elitenherrschaft? Das mag zunächst paradox klingen. Doch Wagner zeigte an Beispielen, wie in rechten Kreisen mit dem Verweis auf die schweigende Bürgermehrheit soziale Regelungen und Forderungen von Gewerkschaften ausgehebelt werden sollen. Der Parteienstaat, der unterschiedliche Interessen austarieren müsse, hindere am Durchregieren, lamentierten schon rechte Parlamentskritiker in der Weimarer Republik.

Ein fragwürdiges Plädoyer für mehr Bürgerbeteiligung kam 2008 auch von dem CDU-nahen Studierendenverband RCDS. Deren damaliger Vorsitzender schlug ein doppeltes Wahl- und Stimmrecht für sogenannte Leistungsträger vor. Damit sollte der Einfluss der neu ins Parlament eingezogenen Linkspartei begrenzt werden, so die Einschätzung Wagners.

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