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Drei unbequeme Zeitgenossen

Kommunismuskritik in Nachkriegsdeutschland

  • Andreas Diere
  • Lesedauer: 4 Min.
Ossip K. Flechtheim
Ossip K. Flechtheim

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg haben nicht nur »Kalte Krieger« und konservative Rechte kritische Einwände sowie Vorbehalte an den vermeintlich sozialistischen Staaten und kommunistischen Parteien formuliert, mehr oder weniger scharfe und fundierte Kritik übten vielmehr oftmals auch Vertreter der politischen Linken. Diese Intellektuellen waren zuvor vielfach selbst Anhänger oder Mitglieder der kommunistischen Partei. Als Beispiele seien hier nur die international bekannten Persönlichkeiten Manés Sperber, Albert Camus, Arthur Koestler und Ignazio Silone genannt.

Heute leider nur noch Wenigen bekannt sind Franz Borkenau, Richard Löwenthal und Ossip K. Flechtheim. Diese drei ehemaligen deutschen Kommunisten haben sich aus unterschiedlichen Gründen und zu verschiedenen Zeiten von der kommunistischen Bewegung stalinistischer Prägung abgewandt, mit deren Ideologie sowie dem System gebrochen. Mario Keßler erinnert an sie in seinem jüngsten Buch über die Kommunismuskritik im westlichen Nachkriegsdeutschland. Auf der Grundlage akribischer Archivrecherchen und Literaturstudien porträtiert er diese drei ehemaligen Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) im Kontext der Auseinandersetzungen in ihrer Zeit.

Der Erstgenannte, Franz Borkenau (1900-1957), ist in der Weimarer Republik eine Zeit lang Leiter des Studentenbundes der KPD gewesen. Er wandte sich schon gegen Ende der 1920er Jahre von der KPD und der kommunistischen Bewegung insgesamt ab. Im antifaschistischem Exil schrieb Borkenau umfangreiche Abhandlungen über die »Kommunistische Internationale« und das System des stalinistischen Totalitarismus. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er Professor für Geschichte in Marburg.

Sein Nachfolger in der Leitung des KPD-Studentenbundes war Richard Löwenthal (1908-1991), der sich ab den 1930er Jahren vom stalinistischen Kommunismus als Ideologie, Partei und System distanzierte. Nach 1945 war er ein konzeptioneller Vordenker der Sozialdemokratie. Von 1961 an legte er als Professor an der Freien Universität Berlin mehrere kritische Studien zu den Entwicklungen in der UdSSR vor. Auch Ossip K. Flechtheim (1909-1998) hat in der Weimarer Republik der KPD angehört. Er emigrierte nach der faschistischen Machtübernahme in Deutschland über Umwege in die USA. Nach Deutschland zurückgekehrt, veröffentlichte er einige kritische Untersuchungen zur Geschichte der KPD, wandte sich jedoch dann vor allem der Wissenschaft von der Zukunft zu. Unter Linken ist Flechtheim dann auch weniger als Kritiker des Kommunismus, sondern eher als Begründer der Futurologie bekannt.

Faktenreich und informativ zeichnet Keßler zunächst den Werdegang seiner drei Protagonisten nach, um sodann deren Beiträge zur Kommunismusforschung vorzustellen. Dabei hält sich der Berliner Historiker mit eigenen Bewertungen zurück; er lässt weitestgehend die Quellen sprechen. Lediglich an der Stelle, an der er auf die seiner Meinung nach stark illiberalen Züge des Antikommunismus von Borkenau zu sprechen kommt, verzichtet er nicht auf einen kritischen Kommentar. Er verweist darauf, dass Borkenau in den USA ein Zuträger des berüchtigten McCarthyismus gewesen sei.

In seiner Nachbemerkung unternimmt Keßler einen analytische Vergleich. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass eine stärkere Einbeziehung von Wolfgang Abendroth sicher sinnvoll gewesen wäre, zumal sich dessen Weg mit dem der drei Porträtierten oft kreuzte. Löwenthal, Flechtheim und Abendroth sind sogar gute Bekannte, zeitweise Freunde gewesen. Durch die Einbeziehung der spezifischen und nach wie vor immer noch sehr überzeugenden Kommunismuskritik Abendroths hätte nicht zuletzt auch ein wesentlicher Mangel der Kommunismuskritik von Borkenau, Löwenthal und Flechtheim deutlicher herausgearbeitet werden können. Denn jene begriffen - wenn auch in unterschiedlicher Akzentuierung - sowohl den Kommunismus wie den Stalinismus hauptsächlich als ein besonderes Herrschaftssystem und viel zu wenig auch als eine soziale Bewegung.

Franz Borkenau, Ossip Flechtheim und Richard Löwenthal, jüdischer Herkunft, im Bürgertum sozialisiert und von den Nazis ins Exil getrieben, gelang keine konfliktlose Integration in die Nachkriegsgesellschaft Westdeutschlands. Im Spannungsverhältnis zwischen einer prinzipiellen Abgrenzung des Kommunismus sowjetischen Typs und kritischem Engagement für eine Demokratie westlichen Musters, deren historische Belastungsfaktoren in Deutschland den drei Protagonisten immer bewusst geblieben sind, haben diese drei Männer, so Keßler, Spuren hinterlassen, die für Linke heute noch interessant sind und von ihren durchaus studiert werden sollten.

Mario Keßler: Kommunismuskritik im westlichen Nachkriegsdeutschland. Franz Borkenau. Richard Löwenthal. Ossip Flechtheim. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin. 232 S., br., 26,90 €.

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