Diebstahl oder Notverkauf

Im Streit zwischen München und Nürnberg um ein Dürer-Bild werden alte Betrugsvorwürfe belebt

  • Klaus Tscharnke, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Kontroverse um die Ausleihe eines Dürer-Selbstporträts von München nach Nürnberg hat eine Historikerdebatte neu entfacht. Hat sich München das Bild einst ergaunert?

Nürnberg. Für Joachim Kalb vom Fränkischen Bund ist der Fall längst entschieden: »Das Dürer-Bild ist gewissermaßen als Hehlerware auf betrügerische Weise an das Haus Wittelsbach gelangt.« Und auch die Franken-Partei hat an dieser Einschätzung keine Zweifel - und setzt bei der Aufklärung der rund 200 Jahre zurückliegenden angeblichen kriminellen Machenschaften nun auf die Münchner Staatsanwaltschaft. Seit die Alte Pinakothek in der bayerischen Landeshauptstadt sich weigert, das Dürer-Porträt »Selbstbildnis im Pelzrock« für eine Ausstellung im Sommer nach Nürnberg auszuleihen, schießen Legenden über den Weg des weltberühmten Dürer-Werks von Nürnberg nach München ins Kraut.

Dass sich Kunsthistoriker in dem Streit bisher vergleichsweise bedeckt hielten, hat vor allem einen Grund: Die Quellenlage in der Frage, wie die Lindenholztafel mit dem Dürer-Porträt in die damalige kurfürstliche Kunstsammlung in München gelangt war, sei vergleichsweise dünn, berichtet der Kunsthistoriker Daniel Hess vom Germanischen Nationalmuseum (GNM) in Nürnberg.

Die Nachverfolgung des Werks seit seiner Entstehung im Jahr 1500 sei schwierig, sagt Hess. »Die ersten Kopien entstanden bereits vor 1800. Außerdem kann man nicht sicher sein, ob es sich bei den im Nürnberger Rathaus seit dem späten 16. Jahrhundert erwähnten Dürer-Selbstbildnissen tatsächlich immer um das heute in München verwahrte Bild gehandelt haben muss«, erläutert der Experte.

Daher ist die Geschichte des Selbstbildnisses bis zu seinem Verkauf 1805 außerordentlich schwer nachzuvollziehen. Jüngere Forschungen hätten allerdings gewisse Zweifel an der Theorie aufkommen lassen, dass die kurfürstliche Kunstsammlung in München das Bild ergaunert hat. Vieles deutet nach Einschätzung von Hess vielmehr auf einen Notverkauf der überschuldeten Stadt Nürnberg hin. Schriftliche Zeugnisse belegten, dass Nürnbergs städtischer Rechtsreferent Georg Gustav Petz 1805 nach München gereist war, um das Dürer-Porträt der Kunstsammlung des Hauses Wittelsbach anzubieten. Für rund 600 Gulden wechselte das Bild seinerzeit den Besitzer.

Bis heute sind zwei Betrugsversionen überliefert. Die eine behauptet, der Kunstmaler Abraham Wolfgang Küffner habe sich das Original des »Selbstbildnisses im Pelzrock« für eine Kopie ausgeliehen; statt des Originals habe er später seine Kopie der Stadt Nürnberg zurückgegeben und das Original der kurfürstlichen Kunstsammlung in München verkauft. Nach der zweiten Version soll Küffner, um gar nicht erst Zweifel an seiner Kopie aufkommen zu lassen, die Rückwand der von Dürer bemalten originalen Lindenholztafel abgetrennt und darauf seine Kopie gemalt haben. Diese Version hätten, so macht Dürer-Experte Hess deutlich, moderne kunsttechnologische Verfahren widerlegt.

Hess hat an beiden Versionen Zweifel. Tatsache sei, dass die Stadt damals hoch verschuldet war und schon seit Jahren städtisches Inventar zu Geld gemacht habe.

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