Ausverkauf in Wiesbaden

Bürgerentscheid über Klinikprivatisierung?

  • Richard Färber, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.
Trotz breiten Widerstands vor Ort hat das Stadtparlament der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden beschlossen, die Dr. Horst Schmidt-Kliniken teilweise zu privatisieren. Die Privatisierungsgegner wollen einen Bürgerentscheid erzwingen.

Nach dem Beschluss der Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung am Donnerstagabend für eine Teilprivatisierung der kommunalen Dr. Horst Schmidt-Kliniken (HSK) stehen die Privatisierungsgegner in den Startlöchern. Sie wollen mit einem Bürgerbegehren den von CDU, SPD und FDP getragenen Beschluss über einen Teilverkauf des kommunalen Klinikums an die Rhön-Klinikum AG kippen und damit einen Bürgerentscheid erzwingen, bei dem die gesamte Bevölkerung das letzte Wort hätte.

Nervöse Reaktionen

Die Ankündigung eines Bürgerbegehrens hatte schon in den vergangenen Tagen in der hessischen Landeshauptstadt nervöse Reaktionen ausgelöst. So meldete die Lokalpresse, dass der örtliche Klinikdezernent Arno Goßmann (SPD) eine für Freitag geplante Mitarbeiterversammlung an den HSK mit den Vertretern der Rhön-Konzernspitze zunächst abgesagt und einen Tag später diese Absage wieder zurückgenommen habe. Der örtliche SPD-Fraktionsvorsitzende Sven Gerich warf den Unterstützern des Bürgerbegehrens »gefährliche, ideologische Planspiele« vor. CDU-Fraktionschef Bernhard Lorenz bezeichnete das Bürgerbegehren als »unzulässig«.

Demgegenüber berufen sich die Initiatoren des Bürgerbegehrens darauf, dass sie damit »ein Stück direkter Demokratie« praktizierten und ein Instrument in der Hand hätten, um »Fehlentscheidungen« der Politik zu korrigieren. »Die Fehlentwicklung, die mit der marktkonformen Zurichtung von Gesundheits- und Pflegeleistungen verbunden ist, verselbstständigt sich und entzieht sich immer mehr dem Einfluss von Bürgern und Politikern, wenn Aktiengesellschaften im Krankenhaus das Sagen haben«, erklärt der Arzt und ver.di-Mann Dr. Michael Forßbohm, der sich in der Initiative für eine kommunale HSK engagiert. »Mit dem Bürgerbegehren schützen wir die Professionalität der im Krankenhaus Tätigen vor einem rein betriebswirtschaftlichen Kostendenken.«

In seinem Engagement stützt sich Forßbohm auf die Beschlusslage seiner Gewerkschaft zum Erhalt öffentlicher Dienstleistungen und Einrichtungen der Daseinsvorsorge. Im Oktober hatte der Wiesbadener ver.di-Bezirksvorstand einstimmig die Privatisierung abgelehnt und die Gründung eines Aktionsbündnisses beschlossen. Dass jüngst in Dresden und in den letzten Jahren auch in den Landkreisen Meißen (Sachsen) und Rottal-Inn (Bayern) mit Bürgerbegehren Klinikprivatisierungen gestoppt werden konnten, macht den Wiesbadener Privatisierungsgegnern Mut.

Skepsis gegen ein Bürgerbegehren äußerte jedoch ausgerechnet der hessische ver.di-Landesleiter im Fachbereich Gesundheitswesen, Georg Schulze-Ziehaus. Er sitzt im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG und empfiehlt nach Insiderangaben betroffenen Betriebsräten und Belegschaften, sich mit der Privatisierung abzufinden und zu arrangieren. Sprecher von CDU und SPD und lokale Medien griffen seine Äußerungen bereitwillig auf und lobten Schulze-Ziehaus für seine Haltung.

Den Initiatoren des Bürgerbegehrens kommt eine vom Hessischen Landtag beschlossene und erst zum Jahreswechsel in Kraft getretene Änderung der Gemeindeordnung entgegen. Denn mit der Neufassung wurde das Quorum für die Einleitung von Bürgerbegehren für hessische Großstädte von zehn auf drei Prozent gesenkt.

Zunächst reichen 6000

Im Fall von Wiesbaden reichen nun rund 6000 statt bisher über 20 000 Unterschriften. Dies sei »ein Fehler, den alle Abgeordneten des Landtages gemeinsam zu verantworten haben«, kritisiert die Frankfurter Allgemeine in ihrer Regionalausgabe: »Die Auseinandersetzungen um den Stuttgarter Hauptbahnhof sind ihnen so in die Glieder gefahren, dass sie sich beeilten, dem auch in Hessen vermuteten Wutbürger entgegenzukommen.« Auch der Wiesbadener Kurier prophezeite als Folge dieser Regelung »nicht mehr, sondern weniger Demokratie«. Dies kann Forßbohm nicht teilen: »Die Bürger sollten in dieser wichtigen Frage das letzte Wort behalten.«

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