nd-aktuell.de / 15.02.2012 / Politik / Seite 3

Einmal um den Block

Blockierer, Menschenkette, Protest in Sicht- und Hörweite - Dresden macht den Nazis das Marschieren schwer

Hendrik Lasch, Sarah Liebigt, Jörg Meyer und Markus Drescher

Dass der 13. Februar 2012 in Dresden ein guter Tag ist, zeigt sich spätestens, als sich die Nazis abends ab halb neun faktisch selbst zu blockieren beginnen. Nur 600 Meter haben die etwa 2000 teils von weither angereisten Rechtsextremen da zurückgelegt - und damit doch bereits die Hälfte der Marschstrecke, die ihnen an diesem Tag zugebilligt wird.

Auf direktem Wege ist der von einem massiven Polizeikordon gesäumte Zug von seinem Sammelplatz nahe des Hauptbahnhofs zum Sternplatz geleitet worden, wo er von den »Nazis raus!«-Rufen Tausender Bürger empfangen wird, die über einen Wall aus Polizeifahrzeugen herüberhallen. Von dort soll es um zwei weitere Straßenecken nur noch zum Ausgangspunkt zurückgehen. Als dem hinteren Teil des »Trauermarschs« schwant, dass der Aufmarsch nicht mehr sein wird als einmal um den Block zu laufen, verfallen die etwa 300 - eher aktionsorientierten - Autonomen Nationalisten am Ende des Aufzugs in einen »Stehstreik«.

Versuche des herbeigeeilten Versammlungsleiters, die »Kameraden« wieder in Bewegung Richtung Abschlusskundgebung zu setzen, scheitern. Stattdessen muss er sich wüste Beschimpfungen anhören. Es sei »der gleiche Mist wie jedes Jahr«, flucht ein Nazi; ein anderer zischt im Davonlaufen, es handele sich um »ein Trauerschauspiel«; auch ein »Macht euren Scheiß alleine« wird durch die Nacht gebrüllt. »Du musst ja nicht herkommen«, hält ein Ordner dagegen. Die Moral der Nazis, die seit 2010 immer neue Dämpfer versetzt bekommen hat - an diesem 13. Februar ist sie wohl endgültig in den Keller gegangen.

Dresden hat dazugelernt

Dafür hauptverantwortlich ist das überregionale Bündnis »Dresden nazifrei!«, das es in den vergangenen drei Jahren schaffte, die zweigeteilten Aktionen der Nazis ganz zu blockieren oder massiv zu stören: die reinen »Trauermärsche« am 13. Februar und die am darauffolgenden Wochenende stattfindenden Aufmärsche, die sich mit 7000 bis 8000 Teilnehmern zu den größten Europas entwickelt hatten. Dresden am 13. Februar - das war viele Jahre lang ein äußerst schwieriges Kapitel. Die Stadt erinnert sich an diesem Tag ihrer großflächigen Zerstörung im Jahr 1945 und tausender Toter. Lange Zeit geschah dies in stiller Trauer und dem Bewusstsein, unverschuldet zum Opfer des Krieges geworden zu sein. Diese Haltung machte es den Nazis leicht, das Datum zu besetzen. Sie überhöhten die Opferzahlen in grotesker Weise und setzten die alliierten Luftangriffe mit der industriellen Vernichtung der Juden im NS-System gleich; von »Bombenholocaust« war die Rede. Die Stadt wehrte sich zunächst kaum; 2009 konnten 6500 Nazis quasi ungestört demonstrieren. Dann wurde »Dresden nazifrei!« gegründet.

Seither hat man in Dresden gelernt. Das zeigt sich diesmal schon beim traditionellen Gedenken auf dem Heidefriedhof, wo viele der Toten des 13. Februar begraben sind. Bisher wurden dort Kränze niedergelegt - in einem Zeremoniell, das es seit dem Einzug der NPD in den Landtag im Jahr 2009 auch ihr erlaubte, sich einzureihen. Vertreter der jüdischen Gemeinde waren der Veranstaltung deswegen zwischenzeitlich ferngeblieben. In diesem Jahr wird der Ablauf verändert; statt Kränzen werden weiße Rosen niedergelegt - nicht nur an der Steinmauer, auf der an die Dresdner Toten erinnert wird, sondern auch an den Stelen für die Opfer verschiedener Konzentrationslager. Die Folge: Die NPD bleibt der offiziellen Ehrung fern. Sie legt unbeachtet einen Kranz ab, der umgehend entfernt wird. Die Braunen wurden, kommentiert ein SPD-Mann später, »erfolgreich vertrieben«. Sie auch von der Straße zu vertreiben, hatte sich erneut »Dresden nazifrei!« vorgenommen.

»Wir. Wolln. Weiter! Wir. Wolln. Weiter!«, tönt es aus dem vorderen Teil des Pulks von rund 350 Menschen, die quer über die Kreuzung verteilt sind. Die Masse drückte nach vorn, beult die Polizeikette aus, ein weiterer Trupp Polizeibeamter rennt hin. »Redet mit denen!«, ruft ein Beamter seinen Kollegen hinterher. »Mit denen«, das sind die Blockierer des Bündnisses, die die gesamte Kreuzung Freiberger- und Ammonstraße einnehmen wollen, von der angenommen wird, dass sie auf der Nazi-Route liegt. Kurz nach vier steht die Blockade, wenige Minuten später kreist der erste Polizeihubschrauber über dem Platz - noch bevor die Sambagruppe anfängt zu spielen. Sabine Leidig, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, meldet die Versammlung auf der Kreuzung an und ist froh, dass im Vergleich zum vergangenen Jahr alles relativ glimpflich über die Bühne geht: »Der politische Druck ist so hoch, dass eine Eskalation von Seiten der Polizei wie noch 2011 nicht mehr möglich ist.« Es sei ein Erfolg, dass die politische Situation sich derart verändert hat.

Picknickinseln im Schneematsch

»Wir sind auf der Wilsdruffer Straße einfach mit unserer Gruppe aus dem Täterspurengang abgebogen und losgelaufen. Die Polizei war völlig überrascht, und bis die genug Kräfte zusammengezogen hatten, waren wir schon am Blockadepunkt«, erzählt ein Blockierer. »Es war viel einfacher als im letzten Jahr«, ergänzt ein anderer. 2011 hatte die Polizei Versuche, ihre Ketten zu »durchfließen« noch massiv mit Pfefferspray, Faust- und Knüppelhieben beantwortet. Ruppig wird es diesmal erst, als es darum geht, die gesamte Kreuzung dicht zu machen. Als die Blockierer zu Schiebern und Drückern werden und von einem eifrigen Beamten nicht angesprochen, sondern mit Pfefferspray besprüht werden. Seine Kollegen ergänzen durch Tritte in die Schienbeine und an die Knie. Kurz darauf ist die Kreuzung doch dicht. Komplett dicht.

Bis zuletzt bleibt die genaue Route der Nazis unklar, doch das Gebiet, das in Frage kommt, ist leicht einzugrenzen, weil hermetisch abgeriegelt. Absperrungen mit Wasserwerfern, Gittern, Bussen, dichten Polizeiketten ziehen einen Ring durch die Willsdruffer Vorstadt. Gehwege, Parkplätze, jeder verfügbare Platz, so scheint es, ist mit grün-weißen und blau-silbernen Polizeifahrzeugen vollgestellt. Dazwischen immer wieder die Reiterstaffel, die mit trappelnden Hufen Streife reitet.

In den nächsten Stunden wächst die Zahl der Blockierer auf der Kreuzung auf etwa 2000 an. Auf goldenen Schutzdecken werden die pinkfarbenen Sitzkissen mit dem »Nazifrei!«-Logo ausgelegt, dazwischen Thermoskannen, Zigaretten, Äpfel, Müsliriegel. Ein paar solcher Picknickinseln entstehen im Schneematsch und wirken, als es dunkel wird, im Flutlichtscheinwerferlicht der Polizei ein wenig surreal. Die Blockierer sind mit sich beschäftigt, man redet, tanzt zur Musik aus dem Lautsprecherwagen, lacht, die Leute werden mit heißem Tee und Suppe versorgt. Die Polizeiketten, die Wasserwerfer, die zahllosen Polizeibusse scheinen nichts weiter als Kulisse. Die Beamten stehen sich die Beine in den Bauch, gucken abwesend in Richtung Blockade, zerpiken schillernde Seifenblasen, die ab und zu von der Blockade herübertrudeln.

Drei Opfer der NS-Ideologie

Ein symbolisches Zeichen setzt gegen Abend die Menschenkette, zu der zum dritten Mal die Stadt aufgerufen hat und in die sich diesmal 13 000 Menschen einreihen. Auf 3,6 Kilometern Länge, so teilt das Rathaus später mit, erstreckt sich die dichte Reihe, an Zwinger und Semperoper, Synagoge und Frauenkirche vorbei sowie über zwei Brücken. CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich, mehrere Minister und die Fraktionschefs der fünf demokratischen Fraktionen reihen sich ein, aber auch die Bundestagsvizepräsidenten Petra Pau (LINKE) und Wolfgang Thierse (SPD) sowie der Vorstand der Grünen. Anderswo stehen »Schüler gegen Nazis« und die Mitglieder des Staatsschauspiels.

Das Anliegen der Menschenkette fasst der amtierende Bürgermeister Dirk Hilbert in klare und berührende Worte. Er erinnert an drei Dresdner Kinder: an Max Goldschmidt, der wegen seiner jüdischen Herkunft als 14-Jähriger im KZ starb, an Gerda Baumann, die im gleichen Alter den Bomben auf Dresden zum Opfer fiel - und an das ungeborene Kind der Ägypterin Marwa El-Sherbini, die 2010 von einem Rassisten in einem Dresdner Gerichtssaal erstochen wurde. Alle drei seien einer NS-Ideologie zum Opfer gefallen, die »heute wie vor 70 Jahren« Hass und Gewalt säe. Das Gedenken an die Dresdner Toten, fügt Hilbert hinzu, dürfe man »nicht losgelöst davon betrachten«. Klarer Protest sei wichtig - solange er »friedlich und verfassungskonform« bleibe.

Mit diesem Ziel ziehen tausende Teilnehmer der Menschenkette anschließend in Richtung der Marschroute der Nazis. Sie wollen »in Sicht- und Hörweite« ihren Protest ausdrücken, wie es DGB-Landeschefin Iris Kloppich formuliert. Die Polizei, die diesmal besser vorbereitet, aber deutlich um Deeskalation bemüht wirkt, lässt den Zug bis zum Sternplatz passieren - wo das Pfeifen und laute Rufen anschwillt, als die Nazis schließlich vorbeigeführt werden. Kurz darauf beginnt ihr Streit.