nd-aktuell.de / 16.02.2012 / Kultur / Seite 17

Reflexionen

Willy Brandt-Edition nun komplett

Heinz Niemann

Auf Einladung der Willy-Brandt-Stiftung hatten sich hochkarätige Experten aus dem In- und Ausland zu einer zweitägigen Klausurrunde zusammengefunden, um den krönenden Abschluss der zehnbändigen Willy-Brandt-Edition zu würdigen, den letzten bis dato noch ausstehenden, nun ebenfalls vorliegenden fünften Band zu feiern. Da ging es um den Wandel im Bild von Willy Brandt, den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler, um Koordinaten seiner Außen- und Deutschlandpolitik, um Leitmotive und Handlungsfelder der Innen- und Gesellschaftspolitik in Brandts Regierungszeit sowie um den Staatsmann ohne Staatsamt nach 1974.

Es gibt wenige Politiker der neueren Zeit, die durch frühe Autobiografien und etliche Buchveröffentlichungen so günstige Voraussetzungen dafür lieferten, dass sich spätere Publizisten und Leser ein Bild von ihrem Denken und Tun machen können, von ihrem Selbstverständnis und vom gewünschten Bild, das der Betroffene der Nachwelt von sich hinterlassen wollte. Nach seinem Tod 1992 wurden der Forschung 400 laufende Meter Akten zugänglich, die Brandt weitgehend vollständig und meist selbst angelegt und gesammelt hatte. Daraus eine Edition mit insgesamt ca. 5000 Seiten als ein authentischen Zeugnis zusammenzustellen, war eine gewaltige Herausforderung.

Der nun vorliegende Protokollband leistet insbesondere dreierlei: Er hilft den Lesern der Dokumentenbände bei der historischen Einordnung der Handlungen Brandts und beim Verstehen seiner Wandlungen und Wendungen wie seiner Fehler. Zum zweiten werden die Umstände und Ursachen verdeutlicht, die seine unbestritten herausragende Rolle in jüngster deutscher Geschichte erklären. Der tendenziellen Heroisierung, die der Rezensent hier kritisch anmerken will, steht allerdings die unleugbare Tatsache zur Seite, dass es wohl keinen Politiker in Nachkriegsdeutschland gab, der ein ähnliches Format und und eine ähnliche Fernwirkung aufzuweisen gehabt hätte, über mehrere historische Umbrüche, einschließlich einem Epochenbruch. Drittens ist bemerkenswert an diesem Band der Beitrag des Direktors des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, Martin Sabrow, der am Beispiel Brandts Probleme, Leistungen und Grenzen der biografischen und autobiografischen Geschichtsschreibung reflektiert.

Bernd Rother (Hg.): Willy Brandt. Neue Fragen, neue Erkenntnisse. Willy Brandt-Studien, Band 5. J.H.W. Dietz Nachf., Bonn. 336 S., br., 32 €.