Polen begehren auf

Referendum gegen Rente mit 67 gefordert

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 2 Min.
Mit dem europaweit bekannten Lied eines durch Geburtenrückgang und medizinischen Fortschritt bedrohten Generationenvertrags eröffnete Polens Premier Donald Tusk seine Offensive für eine Rentenreform. Er will, dass Frauen und Männer erst mit dem 67. Lebensjahr aufs Altenteil gehen.

Nach Meinungsumfragen sind über 80 Prozent der Polen gegen dieses Ansinnen. Zwei Millionen Menschen unterstützten mit ihrer Unterschrift ein Referendum, wie es die »Solidarnosc« und die OPZZ-Gewerkschaft anstreben. Selbst in der Regierungskoalition gibt es zu den Vorstellungen Donald Tusks (Foto) keine Einigkeit. So will die Bauernpartei PSL Frauen, die viele Kinder gebären, mit je drei Jahren »Ablass« pro Kind vor dem 67. Lebensjahr in Rente gehen lassen. Wie ein Kompromiss aussehen soll, weiß niemand. Trotzdem wird die Vorlage der Bürgerplattform (PO) im März dem Sejm zugeleitet.

Den Regierungschef erwarten harte Zeiten. Nach der Schlappe mit der Gesundheitsreform zur Jahreswende und der zunächst arroganten Behandlung der demonstrierenden ACTA-Gegner ist sein Ansehen im Volk rapide gesunken. Laut Umfragen halten 70 Prozent der Polen die Arbeit der Regierung für »schlecht«, der Premier selbst wird von 63 Prozent äußerst kritisch gesehen.

Dienstbereite Wirtschaftswissenschaftler, Sprecher der Arbeitgeberverbände und Unternehmerkreise wie »Lewiatan« oder der Business Centre Club (BCC) und sämtliche Regierungsexperten unterstützen Tusk in seinem Vorhaben jedoch voll und ganz. Anders sei das Rentensystem nicht zu halten. So argumentierte der Regierungschef auch vor dem Kongress Polnischer Frauen, in dem reiche Damen brav zu den Vorschlägen nickten. Im Frauenforum des Sejm gab es dagegen Bedenken.

Dass das Problem der Altersrente primär nicht durch Interessenkonflikte zwischen Jung und Alt, sondern die Diskrepanz zwischen Arm und Reich produziert wird, will den Reformern nicht in den Kopf. Die Rente, um die die Reichen nicht bangen müssen, ist wie überall eine heiß diskutierte politische Angelegenheit. Vor zwölf Jahren hatte der damalige, von neoliberalen Prinzipien geleitete »Solidarnosc«-Premier Józef Buzek mit seiner Rentenreform (Begrenzung der staatlichen Allgemeinen Versicherungsanstalt ZUS und Förderung der profitgierigen privaten Rentenfonds OFE) die heute auftretenden Probleme hervorgerufen. Auch in Polen weiß niemand, woher die Arbeitsplätze für über 65 Jahre alte Männer und über 60-jährige Frauen kommen sollen. Zynisch heißt es, die Anhebung des Rentenalters werde sogar den 18- bis 25-Jährigen helfen, von denen derzeit 24 Prozent arbeitslos sind. Zumindest drei Mal so lang wie man Altersrente bezieht, müsse gearbeitet werden, sagen die Reformer. Die Lebenserwartung in Polen beträgt gegenwärtig 81 Jahre für Frauen und 72 für Männer.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal