Biblis spürt das Aus

Das Ende der Kernkraft trifft nicht nur die Kraftwerksbetreiber, sondern auch die Kommunen

  • Joachim Baier, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit dem Ende der Kernkraft stehen in Deutschland Tausende von Arbeitsplätzen auf der Kippe. Die südhessische Gemeinde Biblis spürt das auch schon und überlegt nun, wie es weitergeht.

Biblis. Deutschlands ältestes Kernkraftwerk war wie ein Goldesel: Millionen Euro jährlich für den Haushalt der Gemeinde Biblis, insgesamt 1000 Arbeitsplätze für die Bevölkerung. Doch die Kommune mit 9000 Einwohnern und Hessens einzigem Kernkraftwerk muss sich nun auf sinkende Steuereinnahmen einstellen. Die örtlichen Hotels und Gaststätten beherbergen wegen fehlender Fremdfirmen schon weniger Gäste.

Das Ende der Kernenergie in Deutschland ist eine Konsequenz aus der Fukushima-Katastrophe in Japan vor fast einem Jahr. Biblis wurde damals abgeschaltet und nach dem Ausstiegsbeschluss der Bundesregierung im Juni vergangenen Jahres endgültig stillgelegt.

»Wir arbeiten an einem Konzept für Strukturwandel«, sagt die Bürgermeisterin von Biblis, Hildegard Cornelius-Gaus (parteilos). Im Mai soll es losgehen. Das Konzept soll im April nächsten Jahres stehen und die Frage beantworten: »Wo soll die Gemeinde Biblis sich hinentwickeln?«

Im Kernkraftwerk hat es die ersten Schritte zum Arbeitsplatzabbau bereits gegeben. Von den rund 300 Beschäftigen der Fremdfirmen mussten 250 gehen. In diesem Jahr sollen 165 Stellen des Betreibers RWE gestrichen werden, die Belegschaft wird von 635 auf rund 470 Beschäftigte verkleinert. Für die RWE-Leute scheint es halb so schlimm zu kommen. »Wir sind zuversichtlich, innerhalb des Konzerns ein Angebot zu finden«, meint RWE-Sprecher Jan Peter Cirkel.

Diejenigen, bei denen das nicht gelingen sollte, haben mit ziemlicher Sicherheit das Nachsehen. »Das ist wie bei Manroland in Offenbach«, vermutet die Sprecherin der Arbeitsagentur, Angela Köth. »Die Chancen stehen gut, wenn man mobil ist. Die RWE-Beschäftigten verdienen aber vermutlich gut, müssten sich also auf Einbußen einstellen.«

Die Gemeinde braucht neue Arbeitsplätze. »Nach dem Standort-Entwicklungskonzept werden wir uns auch mit der Ansiedlung von Firmen beschäftigen, stärker als sonst«, sagt Cornelius-Gaus. »Es ist nicht leicht, 1000 Stellen zu ersetzen«, hält die 59-Jährige fest. »Sparen ist angesagt, das ist ganz klar. Aber es ist ad hoc nicht leicht.« Bei der Frage, welche Dienstleistungen und Angebote die Gemeinde Biblis streichen, und welche sie beibehalten will, soll das Standort-Entwicklungskonzept helfen. »Mit Sicherheit wird aber nicht an der Kinderbetreuung gerüttelt.«

Dass im AKW nun weniger Arbeitskräfte arbeiten, bekommen einige in Biblis bereits jetzt zu spüren. »Klar, man merkt das schon«, berichtet Gästezimmer-Vermieter Harald Orban. Das Geschäft sei um etwa 50 Prozent zurückgegangen, berichtet der 46-Jährige. Hauptsächlich fehlten Fremdfirmen und die Monteure für die Revisionen des Atomkraftwerkes. Bei Siegbert Ochsenschläger von den »Landhaus-Apartments« ist es nicht anders. »Es sind schon 40 Prozent der Gäste weg. Biblis war schon ein Wirtschaftsfaktor für die Region.« Orban bietet sieben Betten an, Ochsenschläger zwölf. Auch das Hotel und Restaurant Lindenhof hat Einbußen bei den Übernachtungen. »Wir hängen zu 80 Prozent vom Atomkraftwerk ab«, erklärt Besitzer Andelko Pehar.

Was sich bei den Übernachtungen bemerkbar macht, dürfte nach Ansicht des Wirtschafts- und Verkehrsvereins Biblis erst der Anfang sein. Wenn nach den Fremdfirmen auch noch die RWE-Mitarbeiter fehlen, seien noch andere Bereiche betroffen, befürchtet der Vorsitzende Bruno Neumann. »Das ganze Gewerbe ist eher abhängig vom ständigen AKW-Personal.«

Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsituation wird auch die Entscheidung haben, wie es mit dem Kraftwerk Biblis weitergehen soll. Die Alternativen sind ein sofortiger Rückbau und ein sicherer Einschluss, eine Versiegelung. »Die Chance, dass mehr Beschäftigte sinnvoll eingesetzt werden können, ist beim Rückbau größer als bei einer Versiegelung«, sagt RWE-Sprecher Cirkel.


Biblis

Die zwischen den Ballungsräumen der Großstädte Mannheim und Frankfurt (Main) gelegene Kommune beherbergt seit 1951 auch die Sendeanlage »Radio Freies Europa / Radio Liberty inc.« (heute: International Broadcasting Bureau). In den 1970ern wurde das 2500 Megawatt liefernde Kernkraftwerk erbaut. nd

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