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Sonnige Tage

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Sonnige Tage

Vor einigen Jahren habe ich damit begonnen, meine Urteil über die Westdeutschen zu relativie-, verifizie- und differenzieren. Bis dahin hatte ich sie für geldgierige Idioten gehalten, die Bücher aus der »Spiegel«-Bestsellerliste lesen. Bei Lesungen passierte es mir jedoch zunehmend, dass im Publikum vorrätige Westdeutsche höflich, sprachlich präzise und nicht ohne Selbstironie darum baten, von dieser Wertung ausgenommen zu werden. Der Zweifel nagte an mir.

Inzwischen habe ich für manche oder manchen aus dem Staatsvolk der Westdeutschen freundliche Worte gefunden, wie »nicht unübel« oder »bei Dunkelheit erträglich«. Kaffeehausbekanntschaften habe ich sogar mit Komplimenten bedacht, wie »dir sieht man Bielefeld nicht an«.

Vielleicht war das voreilig: Die vergangene eisige Februarwoche verbrachte ich auf einer Liege am Hotelpool in Maspalomas auf Gran Canaria, direkt unterm Leuchtturm. Dazu zwang mich die Tatsache, dass sich die Person, mit der ich reiste, beim Herabschreiten der Gangway den linken kleinen Zeh verstauchte, dieser bedrohlich anschwoll und sie, also die Person, zum vollständigen Erliegen brachte. Es war ein Akt sprichwörtlicher ostdeutscher Solidarität, dass ich ihr beilag, ihren Zeh kühlte und generös vorgab, auf Strandläufe und Wanderungen in die Berge verzichten zu können.

Die Hessen, Westfalen und Niedersachsen um uns herum politisierten lauthals. Es waren gemeinsam dick und reich gewordene Ehepaare mit schweren goldenen Ketten und Ringen und furchtbar verwachsenen Körpern, wie sie in Gebieten vorkommen, die von der SDAG Wismut verstrahlt wurden. Sie hatten all inclusive gebucht und fiepten nach den Eingeborenen, den Canaris, die ihnen Fraß und Trunk nachfüllen mussten. Sie hatten ihr Zentralblatt entfaltet, soweit es die Armfreiheit zuließ. Zuvor entbrannte stets ein neckischer Streit, wer die »Bild« zuerst lesen und das Privileg genießen durfte, aufregende »Stellen« in die Luft (21 Grad Celsius) rufen zu dürfen. Sie sagten: »Aber er ist doch immerhin noch unser Präsident.« - »Die Griechen sind wie die Ossis, die kleben uns ewig am Hacken.« - »Die Merkel, alle Achtung, wusstest du, das sie aus Hamburg stammt?« - »Nun sag mal bloß, warum sie den Gaddafi erschossen haben, die Benzinpreise steigen und steigen.« - »Die Bettina Wulff ist doch kein Deut besser als die Wagenknecht. Wenn der Wulff zurücktritt, krallt die sich den Lafontaine!«

Nach der Lektüre erhoben sich die Paare von den Liegen, richteten die ihnen angewachsenen sackartigen Gebilde und besuchten andere Paare, die liegenblieben. Bei diesen Besuchen erzählten sie einander im Schnelldurchlauf, wie sie ihre Vermögen gemacht haben: »Meine Großmutter hat reich ins Rheinland eingeheiratet.« - »Mein Mann war fast 20 Jahr lang im Vorstand von Miele, die Küchen, Sie wissen schon - sag doch auch mal was, Gerhard.« - »Ich war Studienrat in Bonn, bis ich mir sagte, das kannst du nicht mehr verantworten, was die mit den Kindern machen.« Zwischendurch erwiesen sie sich als historisch bewandert: »Wer den Zweiten Weltkrieg angefangen hat, ist ja immer noch umstritten.« - »Als die Mauer fiel, habe ich zu Angelika gesagt - stimmt’s Angelika? -, das erlebste nur einmal, hab ich gesagt. Wie eine Kreuzfahrt, die machste ja auch nur einmal.« - »Russen sind hier gottseidank nicht, denen fehlt hier der Yachthafen. Aber den Polen haben wir viel zu verdanken. Besonders dem Papst, der schon tot ist.«

Frau Wegner aus Detmold (Kurz- und Lederwaren) war gegen elf nur mal kurz »auf Zimmer« und kam wieder runter: »Jetzt ist es passiert. Der Wulff ist zurückgetreten.« Für einen Moment war Stille. Dann sagte Dr. Zeisler, der sein weinrotes Einstecktuch auch im Bademantel trägt: »Da müsse mer jetzt sähr aufpasse. So was nutzen gerne de Kommuniste. Isch sage nur: Hindenburg!« Und ging unter die Dusche.

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