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Europa schafft sich ab

Die EU findet keine nachhaltige Lösung für den »Fall Griechenland« - und diskutiert über Staatsbankrott und Euro-Ausstieg

  • Frank Puskarev, Brüssel
  • Lesedauer: 5 Min.
Es ist ein Trauerspiel, was die EU hinsichtlich Griechenlands derzeit bietet. Noch nie im Industriezeitalter wurden so offensichtlich Kapitalinteressen gegen die Mehrheit der Bevölkerung exekutiert. Griechenland, derzeit mit mehr als 160 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes verschuldet, scheint in einer ausweglosen Situation.

Abhängig von Krediten anderer Staaten, weil es sich die horrenden Zinsen auf Staatsanleihen am Kapitalmarkt nicht mehr leisten kann, brechen jede Woche neue Sparforderungen über Griechenland herein. Täglich wird der europäischen Medienöffentlichkeit erklärt, die Menschen in dem Land lebten über ihre Verhältnisse und müssten sich die Solidarität der EU und ihrer Mitgliedstaaten verdienen. Dabei ist es geradezu euphemistisch, weiter von einer Staatsschuldenkrise zu sprechen. Wird doch der griechische Primärhaushalt, also ohne Schuldendienste und Zinsen, in diesem Jahr mit minus 0,4 Prozent nahezu ausgeglichen sein. Schon dies war nur mit Einschnitten zu erzielen, die die Bevölkerung an den Rand des Erträglichen gebracht haben.

Unbestritten braucht Griechenland langfristige Strukturreformen. Vetternwirtschaft, Steuerhinterziehung und ineffiziente Verwaltung sind Themen, denen sich die griechische Gesellschaft stellen muss. Nur haben diese Aspekte mit der aktuellen Situation wenig zu tun. Und die Lösung der genannten Probleme würde den rasant anwachsenden Schuldenberg Griechenlands auch nur geringfügig abbauen.

»Sparparteien« stürzen in Wählergunst ab

Mit der gerade erzwungenen griechischen Zustimmung zu den Sparpaketen der Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) dürfte das Ende des Liedes noch nicht gesungen sein. Denn erstens ist unklar, ob nach den Wahlen im April noch eine Mehrheit der derzeit als »vernünftig« dargestellten Sozialdemokraten und Konservativen regiert und damit die Zusagen einhalten kann. In den Umfragen stürzten diese Parteien auf zusammen nur noch 35 Prozent ab. Insbesondere die extreme Rechte, aber auch die Linke haben als Gegner der Sparpakete Zulauf. Zweitens dürfte der Abwärtsstrudel durch die Sparmaßnahmen erst noch richtig in Gang kommen. Eine Reihe von Ökonomen prognostizierte eine beschleunigte Talfahrt der griechischen Wirtschaft aufgrund des abzusehenden Nachfrageeinbruchs.

Immer wieder wird deshalb eine Staatspleite oder der Austritt aus der Euro-Zone oder beides zusammen als Rettung für Griechenland debattiert. Doch weder das eine noch das andere sind geeignete Lösungen. Bei einem Bankrott hätte Europa nichts zu lachen. Griechenlands Schulden belaufen sich auf etwa 350 Milliarden Euro, die bunt gestreut sind. Kann Griechenland bei einer der kommenden notwendigen Umschuldungen, die erste im März (14,5 Milliarden Euro), mangels Geld die fälligen Rückzahlungen nicht leisten, wäre es bankrott. Und dann? Griechische Anleihen würden fortan als Ausfall gelten.

Zwar haben die europäischen Banken diese Werte schon weitgehend abgeschrieben, also de facto via Hilfszahlungen der Staaten auf die Steuerzahler abgewälzt. Die europäischen Versicherungen und Pensionsfonds würde ein Staatsbankrott aber hart an die Grenze dessen bringen, was sie zu leisten fähig wären. Zudem würde dem griechischen Bankensektor mit Sicherheit der Garaus gemacht.

Hinzu kämen die nur zu schätzenden 100 Milliarden Euro, die Banken und Versicherungen für in diesem Fall fällige Kreditausfallversicherungen (CDS) abgeschlossen haben. Die ja extra für diese Fälle vorgesehen wurden und zu einem großen Teil nicht von den Inhabern von Staatsanleihen, sondern von auf eine Staatspleite spekulierenden Anlegern gekauft und mit viel Gewinn gehandelt wurden. Die Dominoeffekte scheinen, anders als von Europäischer Kommission und Euro-Gruppe behauptet, wenig beherrschbar, die Auswirkungen auf die Realwirtschaft unkalkulierbar - es geht um eine Schadensumme, die das Siebenfache des berühmt-berüchtigten Crashs der Bank Lehmann Brothers übersteigt. Der gespannte Euro-Rettungsschirm, von dem Teilsummen auch schon in anderen EU-Ländern stecken, käme sofort an seine Grenzen.

Abwärtstrend wäre mit Pleite nicht zu stoppen

Und: Ob diese Pleite ein Schritt zur Erholung der griechischen Wirtschaft und folglich der griechischen Staatskasse wäre, ist sowohl unter Ökonomen als auch in der Politik umstritten. Zwar müsste Griechenland zunächst keine weiteren Schulden mehr bedienen, allerdings sämtliche Rechnungen in bar bezahlen.

Auch die Abwärtsspirale der griechischen Wirtschaft wäre damit nicht gestoppt und neu auftretende Löcher könnten mangels Kreditwürdigkeit nicht mehr gestopft werden. Es müsste weiter gekürzt werden, die Nachfrage bräche noch mehr ein - ein Kreislauf, der Griechenland zurück ins vorindustrielle Zeitalter katapultieren und aufs Niveau eines Entwicklungslandes zurückstufen würde.

Der letzte in der Weltwirtschaftsgeschichte gekannte Staatsbankrott in Argentinien hatte die dramatischen Folgen vorexerziert: Kapitalflucht, Auszahlungsbegrenzungen, Streiks, gewalttätige Auseinandersetzungen und wirtschaftliche Rezession. Dies konnte letztlich nur durch eine massive Abwertung der Landeswährung und einen Schuldenschnitt, der in einem harten Kampf mit IWF und Gläubigern erstritten werden musste, gestoppt werden. Die Folgen waren ein dramatischer Anstieg von Armut und Unterernährung, Landflucht, Expansion des informellen Sektors bis hin zu schwerwiegenden Ressourcen-Engpässen. Für Griechenland ist zudem durch die Mitgliedschaft in der Euro-Zone eine Währungsabwertung unmöglich, sie ließe sich nur durch einen Austritt aus der Gemeinschaftswährung realisieren.

Austritt aus Euro-Zone in Verträgen nicht vorgesehen

Der vor allem auf »Bildzeitungs«-Niveau zu findende Vorschlag, »die Griechen« aus der Euro-Zone auszuschließen, ist in den europäischen Verträgen so aber gar nicht vorgesehen und deshalb keine Option. Die restlichen Euro-Staaten könnten Griechenland allenfalls zum Austritt auffordern, allerdings ohne rechtliche Relevanz. Ein Ausscheiden aus der Euro-Zone hätte ähnlich dramatische Folgen wie ein Bankrott. Griechische Exporte würden durch eine Wiedereinführung der dann drastisch abgewerteten Drachme im internationalen Wettbewerb enorm verbilligt. Allerdings verteuerten sich dringend benötigte Importe im gleichen Maße; parallel würden die Schulden Griechenlands ins Unbezahlbare steigen, blieben diese doch in Euro und Dollar erhalten und würden früher oder später von den Gläubigern reklamiert werden. Geschätzte 600 Milliarden Drachmen würden auf der Soll-Seite zu verbuchen sein, legt man die vom Münchener Ifo-Institut prognostizierte 44-prozentige Abwertung zugrunde.

Eine weitere Folge wären Dominoeffekte im Euro-Raum. Denn wenn erst einmal ein Staat gefallen ist, steigt der Anreiz, auf die Pleite weiterer durch die Bankenkrise ins Straucheln geratener Mitgliedsstaaten zu wetten. Risikoaufschläge auf deren Staatsanleihen stiegen in Kürze ins Astronomische. Zudem fielen nach und nach die Handelspartner für Griechenland und weitere folgende Krisenstaaten weg, weil sich auch in der Euro-Zone der Rückgang der Nachfrage und damit die Ausbreitung einer Rezession nicht mehr verhindern ließe. Es wäre schlechthin das Ende der Währungsunion - und damit unter Umständen auch der EU.

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