Bundeswehr zieht sich aus Talokan zurück

Proteste gegen Koran-Verbrennung

  • Lesedauer: 3 Min.
Im März sollte das Camp aufgegeben werden, nun haben die Unruhen in Afghanistan zu einem verfrühten Abzug der Bundeswehr aus Talokan geführt. Die Proteste dauern den vierten Tag in Folge an.

Berlin/Kabul (dpa) - Wegen der gewaltsamen Proteste in Afghanistan hat sich die Bundeswehr vorzeitig komplett aus ihrem Stützpunkt Talokan zurückgezogen. Allerdings sollte das Lager im März ohnehin geräumt werden. Nach der unbedachten Koranverbrennung durch US-Soldaten in Afghanistan sind bei Ausschreitungen bereits mehrere Menschen ums Leben gekommen. Auch am Freitag kam es in Kabul und mehreren anderen Städten wieder zu Protesten.

Angesichts eines Auflaufs von rund 300 Demonstranten unmittelbar vor dem Stützpunkt Talokan habe der Kommandeur der Nordregion am Donnerstag die mit der Räumung beschäftigten Kräfte ins rund 70 Kilometer entfernte größere Feldlager Kundus abrücken lassen, teilte die Bundeswehr mit. Nach dem Rückzug werde das verlassene Camp von der afghanischen Armee bewacht. Die rund 50 Soldaten hätten Waffen, Munition und Fahrzeuge mitgenommen.

Talokan zählt mit 200 000 Einwohnern zu den zehn größten Städten Afghanistans. Das Bundeswehrcamp befindet sich im Gegensatz zu den anderen Feldlagern der Bundeswehr in Afghanistan mitten in der Stadt und ist daher schwer zu sichern. Im vergangenen Mai waren bei einem Angriff von Aufrührern auf das Bundeswehrcamp mehrere Demonstranten getötet worden. Ein Mob hatte das Lager mit Molotowcocktails und Handgranaten attackiert. Zwei Bundeswehrsoldaten und vier afghanische Wachleute wurden verletzt.


Am 15. Februar stellte die Bundeswehr ihre Tätigkeit in Talokan ein, seitdem wird das Lager geräumt. Wie der Abtransport des noch auf dem 90 mal 90 Meter großen Gelände verbliebenen Materials fortgesetzt werden soll, ist noch offen. Bis spätestens Ende März soll die Räumung abgeschlossen sein. Möglich sei, dass nun ein afghanisches Unternehmen damit beauftragt werde, sagte ein Sprecher des Einsatzführungskommandos. Es sei aber auch denkbar, dass die Bundeswehr noch einmal in das Lager zurückkehre.

Die Koranverbrennung löste unterdessen den vierten Tag in Folge Proteste in Afghanistan aus. In der Hauptstadt Kabul versammelten sich nach dem Freitagsgebet einige hundert Demonstranten. Hunderte Polizisten und Soldaten hielten die aufgebrachte Menge in Schach, berichtete ein dpa-Reporter. Sicherheitskräfte feuerten Warnschüsse ab, um die Versammlung aufzulösen. Die Demonstranten skandierten "Tod für (US-Präsident Barack) Obama" und "Tod für (den afghanischen Präsidenten Hamid) Karsai".

Aus dem Innenministerium hieß es, in mindestens fünf weiteren Städten im Land gebe es Demonstrationen. Sie seien zunächst weitgehend friedlich verlaufen. Am Donnerstag waren bei den Protesten mindestens acht Menschen getötet worden. Darunter waren neben sechs Demonstranten auch zwei Soldaten der Internationalen Schutztruppe Isaf, die ein Angehöriger der afghanischen Armee erschoss. Bereits am Mittwoch waren mehrere Demonstranten in Afghanistan ums Leben gekommen.

Der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe, US-General John Allen, rief zur Ruhe auf. "Ich appelliere an jeden im ganzen Land - Isaf-Angehörige und Afghanen -, Geduld und Zurückhaltung zu üben." Die Isaf teilte mit, die gemeinsame Untersuchung mit den afghanischen Behörden zur Verbrennung von Koran-Exemplaren auf der US-Basis Bagram dauere an. Noch stehe kein Datum für ihren Abschluss fest.

US-Präsident Barack Obama hatte sich für die unbedachte Koranschändung entschuldigt. Die Taliban schworen Rache und riefen Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte zur Fahnenflucht auf.

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