Eskalation im Susa-Tal

Italien: Bahnstreckenblockierer fiel von Hochspannungsmast

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Proteste gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Turin und Lyon haben am Montag eine dramatische Wende genommen: Einer der Anführer der Bewegung, der 37-jährige Luca Abbà, ist aus noch unbekannten Gründen von einem Hochspannungsmast gefallen und schwebte zunächst in Lebensgefahr.

Am Montagmorgen war die Polizei angerückt; sie wollte bei Chiomonte im Susa-Tal westlich von Turin einige Landstücke enteignen, um die Baustelle für die Hochgeschwindigkeitsstrecke zu erweitern, die Turin mit dem französischen Lyon verbinden soll.

Im Januar hatte Rom diese Gegend als »von nationalen strategischem Interesse« erklärt, um alle Verfahren zu beschleunigen. Seit Jahren hat sich eine breite und bunte Protestbewegung gegen dieses Bauvorhaben zusammengefunden, die man vielleicht mit der gegen »Stuttgart 21« vergleichen kann: Sie geht quer durch fast alle Parteien und verbindet konservative Bauern und Lokalpolitiker aus dem Susa-Tal mit linksgerichteten Jugendlichen aus ganz Italien.

Einer der Anführer der No-Tav (Treno alta velocità = Hochgeschwindigkeitszug) ist der Kleinbauer Luca Abbà; der Mann kam sofort zu der Baustelle, als er hörte, dass dort auch ein Landstück enteignet und eingezäunt werden sollte, das er gemeinsam mit anderen gekauft hatte, um die Arbeiten zu verhindern.

Was dann genau geschehen ist, bleibt noch unklar: Abbà kletterte auf einen Hochspannungsmast, wurde von Polizisten verfolgt und fiel dann etwa 15 Meter in die Tiefe, vielleicht weil er ein Kabel berührt hat. Die Nachricht von dem Unfall (der Demonstrant wurde sofort mit einem Rettungshubschrauber nach Turin gebracht) verbreitete sich wie das sprichwörtliche Lauffeuer. Aus dem ganzen Tal, aber auch aus Turin und Mailand reisten noch am Vormittag Anhänger der Bewegung an und blockierten unter anderem eine nahe gelegene Autobahn.

Immer wieder ist es in den letzten Jahren zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen, die manchmal zu regelrechten Gefechten in den Wäldern rund um die Baustellen ausarteten.

Die Protestbewegung ist aus verschiedenen Gründen gegen den Ausbau der Eisenbahnstrecke. Zum einen befürchtet man ein ökologisches Desaster in einem bisher nur wenig belasteten Alpental; zum anderen hält man die Strecke für unnötig und für ein italienisches und europäisches Geschenk (ein Großteil der Gelder stammt aus EU-Fonds) an Spekulanten und die Zementlobby.

Seit einiger Zeit haben sich die Fronten immer mehr verhärtet und ein Dialog zwischen Befürwortern und Gegnern scheint kaum mehr möglich. Erst am Sonnabend hatte wieder eine friedliche Großdemonstration mit über 30 000 Teilnehmern in Turin stattgefunden, wobei es allerdings am Ende im Hauptbahnhof zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen jungen Demonstranten aus Jugendzentren in Mailand und der Polizei kam, für die man sich gegenseitig beschuldigt.

Der Unfall, bei dem Luca Abbà jetzt so verletzt wurde, wiegt so doppelt schwer. Paolo Ferrero, ehemaliger Minister und Sekretär der PRC (Partei der kommunistischen Neugründung) erklärte, dass die Ordnungskräfte die alleinige Verantwortung dafür tragen: »Im Susa-Tal benehmen sie sich wie eine Besatzungsmacht!«

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