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Magdeburger Gericht gibt auf

Turbulente Entwicklung im Prozess um Tod von Oury Jalloh / Nebenklage hält Richter für befangen

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Landgericht Magdeburg will den Prozess gegen einen Polizisten um den Tod des Flüchtlings Oury Jalloh einstellen. Im Gegenzug beantragte die Anwältin von Jallohs Familie die Auswechslung der gesamten Kammer.

Die Strafkammer, die am Landgericht Magdeburg seit Januar 2011 den Tod von Oury Jalloh aufklären soll, hat resigniert. Das glaubt die Anwältin der Mutter Jallohs, eines Flüchtlings aus Sierra Leone, der vor sieben Jahren in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Das Ziel, diesen Vorgang aufzuklären, habe man »aufgegeben«, sagte Gabriele Heinicke gestern in einer Erklärung, mit der sie beantragte, die gesamte Kammer für befangen zu erklären und auszuwechseln. Über ihren Antrag soll erst am 12. März weiter beraten werden.

Mit dem Vorstoß reagierte Heinicke auf eine völlig überraschende Entwicklung. Am Montag hatte das Gericht in dem Verfahren, in dem ein früherer Dienstgruppenleiter der Polizei angeklagt ist, zunächst einen weiteren Zeugen gehört. Der Polizist konnte oder wollte sich wie zuvor viele seiner Kollegen an die Abläufe am 7. Januar 2005 allerdings nicht mehr erinnern. Dann aber unterbreitete die Vorsitzende Richterin Claudia Methling einen erstaunlichen Vorschlag: Angesichts der Prozessdauer von 44 Verhandlungstagen und der Beweislage, die dürftig ist, solle das Verfahren gegen den Angeklagten, der zu langsam auf einen Brandmelder reagiert haben soll, gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt werden.

Vor allem für die Familie und Freunde Jallohs wäre das sehr unbefriedigend. Sie hatten schon in einem ersten Prozess, der im Dezember 2008 nach ähnlich langer Dauer am Landgericht Dessau endete, den Freispruch der damals noch zwei angeklagten Polizisten erleben müssen, im Januar 2010 aber vor dem Bundesgerichtshof ein erneutes Verfahren erzwungen. Der BGH hatte gefordert, vor allem die Entstehung und der Verlauf des Feuers gründlicher als zuvor geschehen zu untersuchen.

Nachdem ein Antrag der Nebenklage auf ein neues Brandgutachten abgelehnt wurde, gebe es dazu freilich noch immer »keine annähernd sichere Feststellung«, sagt Heinicke. Sie warf den Gericht den »bewussten Verzicht auf Sachverstand« vor. Trotzdem solle der Prozess jetzt gegen Geldauflage beendet werden. Der Tod Jallohs werde damit zur »Qualität eines Verkehrsunfalls« herabgestuft, sagte die Anwältin, die der Einstellung freilich nicht im Wege stehen könnte: In die Entscheidung wären nur der Staatsanwalt und die Verteidigung einbezogen.

Für die Nebenklage hätte ein solches Ende einen fatalen Effekt: Eine erneute Revision wäre ausgeschlossen; der Fall würde endgültig zu den Akten gelegt. Der Befangenheitsantrag war daher gestern das letzte Mittel der Nebenklage, das Prozessende zu verhindern - auch wenn Beobachter einräumen, das eigentliche Problem seien die verstockten Zeugen. »Die Richterin kann Aussagen ja nicht herausprügeln«, sagt Mouctar Bah von der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«, die 50 Menschen zu Protesten mobilisiert hatte. Nachdem es beim Urteil in Dessau Tumulte gegeben hatte, rechneten die Behörden offenbar mit mehr Wirbel: Die Straße vor dem Gericht war erstmals komplett abgesperrt.

Wird der Befangenheitsantrag abgelehnt, müssen Verteidigung und Staatsanwaltschaft erklären, ob sie der Einstellung zustimmen. Bei einem Teilerfolg müssten einzelne Richter ausgewechselt werden. Wäre er komplett erfolgreich, begänne das Verfahren von vorn.

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