Taschen leer, Schnauze voll

Warnstreik der öffentlichen Bediensteten legt NRW ein Stück weit lahm

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Mittwoch gab es wieder Warnstreiks im öffentlichen Dienst. Laut ver.di traten mehr als 70 000 Beschäftigte von Bund und Kommunen in den Ausstand. Allein in Nordrhein-Westfalen waren es 55 000. Sie fordern 6,5 Prozent mehr Lohn und zumindest in Bochum scheinen sie es ernst zu meinen - die ver.di-Basis macht Druck.
Kämpfen für die Übernahme
Kämpfen für die Übernahme

Die Rolltreppe zur U-Bahn-Haltestelle »Rathaus« ist mit einem Plastikband abgesperrt, das Metalltor am Eingang heruntergefahren. Unterirdisch fährt an diesem Tag keine Bahn. Und oberirdisch kein Bus. Das gleiche gilt für ganz Bochum, aber auch für viele andere Städte Nordrhein-Westfalens. 55 000 öffentliche Bedienstete ließen dort gestern die Arbeit ruhen.

Republikweit wollen die Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes eine Lohnerhöhung von 6,5 Prozent, mindestens aber 200 Euro durchsetzen. Mehr als drei Prozent wollen die öffentlichen Arbeitgeber nicht akzeptieren. Schon droht ver.di-Boss Frank Bsirske damit, die Verhandlungsrunde scheitern zu lassen.

Jetzt also der frühe Warnstreik. Auch in Bochum, wo rund 2000 Menschen auf den Rathausplatz geeilt sind. Mitarbeiter von Sparkassen, Kitas, Berufsgenossenschaften, des Nahverkehrsunternehmens Bogestra, der Stadtverwaltung - sie schwenken ver.di-Fahnen, sie trillern in Pfeifen, sie klatschen und buhen. All das sei »ein lautes Signal« in dieser »besonders schwierigen Tarifauseinandersetzung«, freut sich Rednerin Gudrun Müller. Die Arbeitgeber übten sich in einer Hinhaltetaktik, ergänzt die Bochumer Geschäftsführerin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.

Ja, die öffentlichen Kassen seien leer, räumt die Gewerkschafterin ein. »Aber das Geld ist da, es ist nur falsch verteilt in diesem unglaublich reichen Land.« Eine gerechtere Steuerpolitik würde dazu führen, dass »die 6,5 Prozent aus der Portokasse bezahlt« werden könnten. Stattdessen seien viele öffentliche Bedienstete der unteren Lohngruppen längst auf Nebenjobs angewiesen. Heute verdiene ein Busfahrer 2000 Euro - »brutto wohlgemerkt«.

Ver.di hat bei der Bogestra AG die Einführung einer neuen Tarifgruppe dulden müssen. »5a« heißt sie, und sie hat zur Folge, dass neueingestellte Fahrer 200 Euro netto weniger verdienen als ihre alteingesessenen Kollegen. Der für das Verkehrsunternehmen zuständige ver.di-Sekretär Jürgen Schirmer berichtet, im Gegenzug sei eine Arbeitsplatzgarantie bis 2019 herausgesprungen. Er klingt nicht wirklich begeistert. Dabei ist sein Arbeitsmotto durchaus korporativistisch: »Was gut ist für das Unternehmen, ist auch gut für die Mitarbeiter.« Schnell fügt er noch ein »und umgekehrt« hinzu.

Zwar bleiben betriebsbedingte Kündigungen noch sieben Jahre lang tabu, dafür werden frei gewordene Stellen oft nicht neu besetzt. Heißt: Mehr Arbeit für den Rest. »Es hat eine enorme Arbeitsverdichtung stattgefunden«, bestätigt Siglinde Salewski, Geschäftsführerin des Betriebsrates.

In den Betriebsratsräumlichkeiten füllen Bogestraner Formulare aus. Schließlich wollen sie ihr Streikgeld bekommen. In der Raucherlounge steht ein streikender Kundenberater. »Wir leisten uns Zehntausende Hilfspolizisten in Afghanistan«, ärgert sich der Mittvierziger. »Die verteidigen am Hindukusch meine Freiheit, den ganzen Tag malochen zu gehen und kein Geld für ein Auto zu haben.«

Er zieht an seiner Elektro-Zigarette. »Wir werden 3,5 Prozent durchsetzen, dann habe ich 60 bis 70 Euro mehr im Monat. Peanuts! Aber«, so sagt er zu seinem Nachbarn, der eine richtige Zigarette qualmt, »Du verdienst als Straßenbahnfahrer ja ein bisschen mehr als ich.«

Doch auch sein Gesprächspartner hat Grund zur Klage: »Beim letzten Mal haben wir 1,7 Prozent durchgesetzt, da haben wir das Arbeitgeberangebot quasi eins zu eins übernommen. Sowat geht gar nicht!« Wehmütig erinnert er sich an seine Jahre in der Metallindustrie: »Acht Prozent gefordert, sieben durchgesetzt. Zack!«

Doch das »Goldene Zeitalter des Kapitalismus« (Eric Hobsbawm), es ist längst Geschichte. Hinzu kommen regions-spezifische Probleme: Wie alle Ruhrpott-Städte wird auch Bochum vom Strukturwandel weg von Kohle und Stahl gepeinigt. Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz lud unlängst die Bürger ein, eigene Sparideen zu unterbreiten. Als Ergänzung zu jenen 166 Grausamkeiten, die die SPD-geführte Obrigkeit bereits eigenständig ersann.

Die öffentlichen Kassen sind leer. Stimmt! Doch für Siglinde Salewski ist das nur die eine Hälfte der Wahrheit: »Unsere unsere Taschen sind auch leer, sagen unsere Mitarbeiter«. Dann berichtet die Betriebsrätin vom Druck der Basis: Eine vier vor dem Komma müsse sein, sonst drohe ver.di Ärger. »Die Kolleginnen und Kollegen wollen endlich mehr Geld sehen«, sagt Salewski und zupft an ihrem ver.di-Plastikleibchen.

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