Bischof Ansgar hätte auch Pech haben können

Patrick Krauß aus Heidelberg und seine Freunde haben sich dem Bastel- und Strategiespiel Tabletop verschrieben

  • René Gralla
  • Lesedauer: 4 Min.
Bischof Ansgar hätte auch Pech haben können

Drachenschiffe sind den Fluss hinaufgefahren, ankern vor der mit Palisaden und Erdwall nur notdürftig befestigten Siedlung. Von einem Wehrturm schaut eine Gestalt in rotem Umhang, der Bischof, besorgt herab auf seine bedrohte Gemeinde. Mit viel Liebe zum Detail haben Patrik Krauß, ein 32-jähriger Webentwickler aus Heidelberg, sowie seine Projektpartner, der Schleswig-Holsteiner Frank Bauer und der Hesse Thomas Hahn, ein zentrales Ereignis der norddeutschen Geschichte auf knapp acht Quadratmetern Fläche wieder erstehen lassen: die Brandschatzung der Hammaburg durch die Wikinger im Jahr 845. Das Modell war der zentrale Hingucker auf der Tactica 2012, dem traditionellen Treff der Fans des Strategiespiel Tabletop (engl. Tischplatte, Tischspiel) an der Elbe kurz vor Frühlingsanfang.

nd: Ihre Hammaburg sieht nach einem guten Stück Arbeit aus.
Krauß: Mit dem Terrain hatte Frank Bauer im September 2011 begonnen. Basis sind Styrodurplatten, für die Begrünung sorgt leimfixierter Geländestreu. Die Wasserzonen sind eingefärbtes Leinentuch, mit Acryl überzogen. Hütten und Burg hat Thomas Hahn gebaut, das »Reet« der Dächer ist Teddyfell. Die Figuren - das sind mehr als 300 Miniaturen in der Standardgröße 28 Millimeter - stammen aus meiner Sammlung.

28 Millimeter - wie lange dauert es, bis eine Miniatur aus Zinn oder Plast perfekt koloriert ist?
Meistens nehme ich mir mehrere Figuren auf einmal vor, zwischen 10 und 20 in einem Rutsch. Die kann ich innerhalb von ein bis zwei Wochen schaffen, vorausgesetzt, ich investiere pro Abend zwei oder drei Stunden. Runtergebrochen auf eine Figur sind das im Schnitt an die zweieinhalb Stunden.

Ein ziemlicher Aufwand für einen solche Bonsai-Recken.
Ohne die funktioniert das Tabletopspiel nicht

Haben Sie bei der Pinselei nicht irgendwann die Wut gekriegt und gedacht, »ich schmeiße das jetzt alles in die Ecke«?!
Nein. Ich bin da durchaus stolz drauf, was da unter meinen Händen entsteht. Das ist ein kreativer Prozess. Und er spornt an, die Technik immer weiter zu verbessern. Durch Workshops beispielsweise, die während verschiedener Ausstellungen angeboten werden.

Das Thema Ihrer Hamburger Präsentation ist der Handstreich der Wikinger gegen die Hammaburg vor genau 1167 Jahren gewesen. Selbst Erzbischof Ansgar war dem Zugriff der blonden Horden nur knapp entkommen. Einiges liegt da historiographisch im Dunkel. Haben Sie zunächst Quellenforschung betrieben?
Ja, wir haben die einschlägige Literatur gesichtet, die Faktenlage 845 jedoch ein wenig freier interpretiert. Denn zu Beginn des 9. Jahrhunderts war Hamburg nicht viel mehr als eine Ansammlung bescheidener Hütten plus Bootsanleger und Ringwall. Deswegen sind wir, um das Szenario für das Publikum attraktiver zu machen, etwas von der Historie abgewichen und haben Elemente hinzugefügt, die 845 streng genommen noch gar nicht vorhanden waren.

Tabletop ist nicht nur Schauen und Staunen, sondern lädt zum aktiven Mitmachen ein. Der Angriff gegen die Hammaburg sowie die Flucht des Bischofs können im Spiel simuliert werden.
Dazu hat der Fachhandel eine Auswahl von Regelbüchern im Angebot. Die unterschiedliche Armierung der Truppen, das Gelände sowie die Moral der Kämpfer werden berücksichtigt. Über den Ablauf und Erfolg eines Manövers entscheiden am Ende die Würfel.

Aber zu spielen, ist eben nur ein Aspekt von Tabletop. Was gehört noch dazu?
Also, einige Spielenthusiasten treten deswegen mit unbemalten Figuren gegeneinander an. Das wird mehrheitlich verpönt. Viel mehr gehören diese vier Aspekte zusammen: das Sammeln der Figuren, das Bemalen, der Geländebau und die Interaktion im Spiel.

Was ist der besonderes Reiz?
Man kann alternative Geschichtsverläufe ausprobieren. Und auch unsere Testpartien mit Erzbischof Ansgar haben gezeigt: Er hätte damals auch gefangen genommen worden sein.

Wer spielt das alles, eher junge oder eher ältere Leute?
Tabletop ist ein Hobby, das Söhne und Väter gleichermaßen begeistert.

Auch Mädchen und Frauen?
Die sind - noch - in der Minderheit. Aber auch da bewegt sich etwas. Schwestern wetteifern mit ihren Brüdern in Workshops darum, wer die Figuren schöner bemalt, und die eine oder andere Frau führt eine scharfe Klinge in einer Wettkampfpartie.

Gespräch: René Gralla

Weitere Infos zum Projekt Hammaburg 2012 mit vielen Fotos: www.hamburger-tactica.de/newsblog/?p=245

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