Posaunen halten Nazis auf

Vielfältige Proteste und Blockaden gegen rechtsextremen Aufmarsch in Dessau

  • Hendrik Lasch, Dessau
  • Lesedauer: 2 Min.
Mit kreativen Protesten haben Hunderte Bürger einen Aufmarsch von Nazis in Dessau behindert. Sie missbrauchen die Geschichte ausgerechnet der Stadt, in der das Giftgas Zyklon B produziert wurde.

»Befiehl uns deine Wege«, spielt das Anhaltische Blechbläserensemble. Die Musiker stehen mit ihren Posaunen vor der Dessauer Johanniskirche und versuchen gemeinsam mit rund 100 Bürgern, Wege zu versperren. 130 Nazis stehen am Ende der Straße. Die ist von einem Transparent versperrt, das Menschen in knallbunten Teletubbie-Kostümen halten: »Eine Million ermordet durch Nazis mit Zyklon B«, steht darauf.

Mit bunten Protesten versuchen die Dessauer, einen Marsch von Rechtsextremen zu behindern, was wiederholt gelingt: Spontane Sitzblockaden und Ansammlungen vor der Kirche und auf Kreuzungen erzwingen Änderungen der geplanten Route, die zum Südfriedhof führt, oder längere Pausen, die begleitet werden von lautstarken Protesten in unmittelbarer Nähe zum Zug der Nazis.

Anlass für deren Veranstaltung ist die Zerstörung der Stadt am 7. März 1945. Damals hatten Bombenangriffe große Teile der Innenstadt schwer in Mitleidenschaft gezogen. Bei einer Kundgebung am Hauptbahnhof verwies Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) allerdings vor 500 Menschen darauf, dass die Zerstörung am Ende eines vom NS-Regime entfesselten Krieges stand. »Wer im Geist dieser Täter lebt, darf diesen Tag nicht missbrauchen«, sagte Stahlknecht. Er rief die Dessauer auf, sich gemeinsam »gegen braunen Ungeist, Rechtsextremismus und die NPD« zu engagieren.

Wulf Gallert, Fraktionschef der LINKEN im Landtag, bestärkte die Dessauer in ihrem Protest. Er wies aber darauf hin, dass Nazis nicht nur demonstrieren. »Der Virus von Faschismus und Rassismus ist weit in die Gesellschaft eingedrungen«, sagte er und verlangte eine alltägliche Auseinandersetzung.

Auch Oberbürgermeister Klemens Koschig verwahrte sich gegen eine Vereinnahmung der Stadtgeschichte durch die Nazis. »Ich lasse nicht zu, dass unsere Toten zu Heldenopfern stilisiert werden«, sagte er und bezeichnete die Rechtsextremen als »ungebetene Gäste«. Diese hätten in der Stadt »keinen Platz - nicht gestern, nicht heute, niemals wieder«. Koschig zitierte den sozialdemokratischen Juristen Friedrich Kellner, der die Nazis der NS-Zeit in seinem Tagebuch als »irrsinnige Lumpen« bezeichnet hatte - was Koschig nun den Neonazis zurief.

Sachsen-Anhalts DGB-Chef Udo Gebhardt verwies auf finstere Kapitel in Dessaus Geschichte. Mit einem Beschluss des Gemeinderats wurde im August 1932 das Bauhaus vertrieben. Zudem seien aus Dessau »12.000 Tonnen Zyklon B nach Auschwitz geschickt« worden. Die Dessauer Werke für Zucker-Raffinierie waren wichtigster Hersteller des Giftes, das in den Konzentrationslagern zur planmäßigen Vernichtung der Juden eingesetzt wurde. Dies zu verschweigen und nur an die Zerstörung zu erinnern, sei eine »Schändung unserer Heimatstadt«.

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