Die Selbstverständlichkeiten des Nationalstaats infrage stellen

Der Journalist Miltiadis Oulios über migrantische Perspektiven in den deutschen Massenmedien

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 6 Min.
Miltiadis Oulios lebt und arbeitet als freier Journalist in Düsseldorf. Er arbeitet als Radioreporter für den WDR und als Autor für taz, ZEIT und die Kölner StadtRevue. Im Radiosender Funkhaus Europa moderiert er zudem das deutsch-griechische Magazin »Radiopolis«. Im suhrkamp-Verlag erscheint in Kürze sein Buch »Blackbox Abschiebung - Geschichten und Bilder von Leuten, die gerne geblieben wären.« Miltiadis Oulios ist aktiv bei den Neuen Deutschen Medienmachern. Der Verein setzt sich »für eine ausgewogenere Berichterstattung und mehr Kolleginnen und Kollegen mit einem so genannten Migrationshintergrund« ein.
nd: Du hast hier eine Veranstaltung gemacht, die den Titel trug: »Wie viel Platz ist in deutschen Medien für Kanak Power?« Dieser Titel erklärt sich nicht von selbst. Mach du das bitte!
Oulios: Mit dem Titel ist gemeint: Wie viel Platz ist für Einwanderer als Protagonisten, die mehr Forderungen stellen, als der Mainstream ihnen zugesteht? Wie viel Platz ist für Themen, die für die Mehrheitsgesellschaft vielleicht unbequem sind, die aber aus der migrantischen Perspektive Sinn machen? Wie viel Platz ist für Journalismus, der Migranten weder als Opfer, noch als Täter darstellt, sondern als Menschen, die in ihren Kämpfen, und vielleicht auch in ihrem praktischen Kosmopolitismus die Selbstverständlichkeiten des Nationalstaats infrage stellen? Es geht um die Kritik einer Gesellschaft, die sich über das nationale Bewusstsein definiert und festhalten will, wer dazugehört, und wer nicht.
Miltiadis Oulios auf der LiMA
Miltiadis Oulios auf der LiMA

Wie lautet die Antwort auf diese Fragen?
Es ist immer so viel Platz, wie man sich schafft (lacht). Es ist immer eine Grenze da, die man in dem Moment spürt, wo tatsächlich Themen oder Haltungen von Migranten zum Gegenstand der Berichterstattung werden, die Selbstverständlichkeiten infrage stellen. Es wird viel berichtet über so genannte Ghettos – damit sind dann Wohnviertel gemeint, in denen viele Einwanderer leben. Aber in dem Moment, wo es darum geht: Wo sind eigentlich Ghettos von Deutschen, oder von Mittelschichtsangehörigen – also von denen, die sich als die Norm begreifen –, und inwieweit stellen deren Schließungstendenzen auch ein Problem für die Gesellschaft dar? Dann zeigt sich immer, dass dafür kein Platz da ist, oder man zumindest stark argumentieren muss, dass dafür auch Platz sein muss.

Da hast du ja auch eine Erfahrung gemacht.
Ja. Das ist aber nicht Alltag. Es gab einmal, ich weiß nicht mehr wann, in den Medien Berichte über »Ausländerviertel« und Probleme. Ich machte dann einen Kommentar im WDR-Radio, in dem ich darauf hinwies, dass es auch ein Problem ist, dass es in allen deutschen Großstädten gut situierte Viertel gibt, in denen sich die Mittelschicht genauso abschottet. Das hat auch so funktioniert, aber es ist nicht so, dass man das oft machen kann. Der Redaktionsleiter hat dann halb im Spaß und halb im Ernst entrüstet gefragt, was das denn solle, denn er habe sich auch ein Haus in solch einer Gegend gekauft und sei ganz froh, dass er da wohne – und dafür müsse er sich nicht entschuldigen. Da können also Denkprozesse angestoßen werden, die es sonst nicht gäbe.

Warum sagst du »Kanak«, und warum »Kanak Power«?
Ich war früher in dem antirassistischen Netzwerk Kanak Attak aktiv. Da haben wir diesen Begriff umgedreht vom Schimpfwort zur Karte, die man einsetzt, zum Begriff, der provozieren und eine Haltung darstellen soll: weg von diesem Diskurs, in dem es nur möglich ist, von Rassismus als Betroffenheitsthema zu sprechen, und hin zu einem Diskurs über Rassismus, in dem migrantische Positionen offensiv auftreten. »Kanak Power« steht also für migrantische Gegenmacht, für Kämpfe um Anteil in der Gesellschaft, um Rechte, die nicht zugestanden werden, die sich Leute aber nehmen. Wie viel Platz ist für diese Sichtweise im journalistischen Geschäft? Sie ist ja eine Realität – und eine, über die wenig gesprochen wird. Und wenn, dann nur skandalisiert. Das ist eigentlich eher ein Diskurs der Konservativen, oder der Rechtspopulisten, die dann immer wieder davon reden, dass sich die Ausländer zu viel rausnehmen. Sie haben tatsächlich recht – aber wir sagen: Das ist gut so.

Gibt es Kanak Attak eigentlich noch?
Nein, aber wir sind immer noch über eine Mailingliste vernetzt.

Dafür gibt es ja mittlerweile die Neuen Deutschen Medienmacher (NDM). Wer hat die wann gegründet, und seit wann und warum bist du dabei?
Wann gegründet? Da musst du auf der Webseite neuemedienmacher.de nachschauen. Das muss vor drei Jahren gewesen sein, und zwar von Journalistinnen und Journalisten mit und ohne Migrationshintergrund. Man hat gesehen: Man muss sich organisieren, um auf sich aufmerksam zu machen. Ich bin vor zwei Jahren über Kollegen, die schon Mitglieder waren, dazugestoßen.

Du bist Erstunterzeichner der aktuellen NDM-Kampagne: »Strukturelle Diskriminierung an deutschen Schulen – kein Thema für Deutschlands Medien?« Geht die also auch auf dich zurück?
Ich bin einer der Ansprechpartner. Es haben auch andere Leute daran gearbeitet. Wir möchten etwas zur Sprache bringen, was uns schon länger unter den Nägeln brennt. Dieses Bildungsthema ist immer wieder aktuell. Die De-Thematisierung der spezifischen Diskriminierung von Migrantenkindern auch. Wir haben dann auch intern geguckt: Wie war es bei dir? Hattest du am Ende der Grundschule eine Gymnasialempfehlung? Da kam heraus, dass fast die Hälfte der 60 Unterzeichner des Aufrufs keine gehabt hatte – was auch für uns erstaunlich war, denn die hatten ja letztendlich alle studiert. Das Thema war also auch deswegen präsent, weil viele Journalistinnen und Journalisten mit Einwanderungshintergrund das aus eigener Erfahrung kennen – und sehen, dass darüber kaum gesprochen wird.

Bei diesem Thema gibt es immer wieder Begriffsprobleme, wie du selbst weißt. Wie spricht man über Diskriminierung, über Migranten? Wogegen ist man? In dem Aufruf ist mir aufgefallen, dass relativ am Anfang Arbeiterkinder erwähnt werden, dann aber gar nicht mehr auftauchen. Der Text bezieht sich dann nur noch auf die Kinder mit Migrationshintergrund. Andererseits ist später die Rede davon, dass ein Drittel der Kinder in Deutschland einen Migrationshintergrund habe. Das sind ja sehr viele, die sind vermutlich nicht alle von Diskriminierung betroffen. Wie siehst du das mit dieser Begriffsproblematik? Haben einige Begriffe Nachteile, weil sie etwa zu Selbst-Ethnisierung führen können, wenn statt von sozialen Schichten von »den« Migranten gesprochen wird?
Diese beiden Dinge sind ja eh verschränkt: Einwanderung und Arbeiterschicht. Uns war es wichtig, das zu betonen. Im besten Fall wird über die Selektion nach sozialer Herkunft gesprochen, und die auch problematisiert. Was aber selten offensiv zur Sprache gebracht wird, ist, dass diese Selektion insbesondere auch Einwandererkinder betrifft. Erstens aufgrund ihrer ethnischen Herkunft. Und zweitens, weil viele Arbeiterfamilien in Deutschland de facto Einwandererfamilien sind. Das verschränkt sich und geht zum Teil über die reine Schichtzugehörigkeit hinaus. Das ist nicht absolut zu sehen. Aber seit zehn Jahren bestätigen Studien das, was viele – nicht alle – Einwanderer und ihre Kinder aus eigener Erfahrung kennen. Das ist ein Thema, das eine viel größere Publizität verdient.

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