nd-aktuell.de / 24.03.2012 / Kultur / Seite 17

Ich bin aber kein Luxus-Schuster

Astrid Kloock
Er macht Schuhe für Thomas Gottschalk, entwirft mit Luigi Colani Stiefel aus Jeans-Ware, hat für Katja Flint die kleinen Lackledernen gearbeitet, die sie zur Bambi-Verleihung trug: Kay Gundlack. 40 Jahre. Zu Hause in Parchim/ Mecklenburg.
Ich bin aber kein Luxus-Schuster

Er wollte immer schon Schuster werden. Das prägende Erlebnis liegt 35 Jahre zurück. Der Junge war fünf. Die Knirpsengruppe im Kindergarten besuchte eine Schusterwerkstatt, um einem »Sohlenflicker« bei der Arbeit zuzusehen. Der Schuster saß auf seinem Schemel. Eine Frau kam und wollte neue Absätze. Geht in Ordnung, sagte der Schuster, kommen Sie übermorgen wieder. Er war dabei, Stiefel zu reparieren. Die Flickenreste flogen auf den Boden. Kay war begeistert: möhlige Werkstatt, Ledergeruch, ein Paar Absätze und bis übermorgen Zeit. Für den Fünfjährigen stand fest: Ich werde Schuster.

Meine Kindheit war warm und schön, sagt Kay Gundlack.

Gundlack ist in Lübz geboren, in Goldberg zur Schule gegangen, in Parchim hat er das Schusterhandwerk gelernt. Er war ein pummeliges Kind, gesellig, beweglich, verträumt. Die Mutter hat ihn streng und mit Liebe erzogen. Zwischen dem verträumten Schulkind und dem kreativen Schuster liegen drei Jahrzehnte. Er lebt und arbeitet immer noch dort, wo er gelernt hat, in Parchim. Ein Bodenständiger, der am liebsten zu Hause ist, kein Fernweh kennt und kannte, auch nicht in der Zeit, als sich die Menschen eingesperrt fühlten, wie sie sagen. Heute ist Kay Gundlack ebenso viel on-the-road wie im mecklenburgischen »Pütt« (niederdeutsche Bezeichnung für Parchim) - Düsseldorf, Köln, Hamburg, Berlin, Basel, Zürich, Mailand. Ihn treibt nicht das Fernweh, sondern das Geschäft. Der Weg von Mecklenburg in die Welt ist weit. Aber Gundlack zählt nicht die Kilometer - er ist Künstler, kein Kaufmann -, er zählt die Schuhe und die Botschaften, die sie vom Schuhmacherhandwerk in Mecklenburg in die Welt hinaus tragen.

Ich bin verliebt ins Schuhe machen, sagt Gundlack.

Bei Kay Gundlack bekommt jeder seinen persönlichen Schuh. Handgemacht bedeutet bei ihm nicht die kleine Serie nach konfektioniertem Leisten. Sein Leisten passt nur auf einen einzigen Träger, die Fußsohle ist anatomisch ausgeformt.

Wer bei ihm arbeiten lässt, bekommt gesunde Schuhe, ob er will oder nicht. Der Auftrag beginnt mit dem peniblen Maßnehmen. Dann wird der Leisten gearbeitet, das »ungeschminkte Gesicht«. Der Leisten sagt, ob der Fuß platt, gespreizt oder verkrüppelt ist. Kaum einer, der im ausgewachsenen Zustand noch engelsgleiche Füße hätte. Die Menschen merken es meistens im Rücken, wenn die Füße kaputt sind. Die Herstellung des Leistens ist Basisarbeit. Dann kommt das Modellieren, Variieren, Ausprobieren: Welches Leder passt zu welchem Schuh? Boxkalf, Cordovan, Ziegen-, Krokodil- oder Perlrochenleder zu Pumps, Ballerinas, Stilettos, Highheels oder Stiefeln? Welche Accessoires sind die richtigen - Knopf, Schnalle, Reißverschluss oder Lasche? Vielfarbig? Einfarbig? Erst wenn alle Zutaten entschieden sind, wird zugeschnitten, geformt, genäht, geklopft. Schritt für Schritt entsteht der Schuh. Nach dem letzten Handgriff legt der Meister eine Pause ein. Abnabeln ist nötig, um urteilen zu können. Ok? Nicht ok? Der letzte Akt ist das Polieren. Dazu zieht er weiße Handschuhe an. Die Weißen zum Finish. Aus Respekt vor der Arbeit und überhaupt. Dann gibt er seine Arbeit frei. Der Kunde kann hineinschlüpfen in seine neuen, schönen, gesunden Schuhe.

Ich bin ein orthopädischer Schuhmacher, sagt Gundlack.

Orthopädisch? Nein danke. Orthopädische Schuhe sind keine Hingucker. Niemand trägt sie ohne Not. Anders bei Gundlack. Seine Schuhe sind orthopädisch, schön und Hingucker. Gundlack hat sein Handwerk gründlich gelernt. Er machte in Parchim eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum orthopädischen Schuhmacher. Bei guten Lehrern. Anschließend arbeitete er fünfzehn Jahre in diesem Beruf in einer Werkstatt. Während dieser Zeit wurde ihm klar, dass gerade kranke und deformierte Füße schöne Schuhe brauchen. Für Kinder dachte er sich lustige Extras aus. Aber das bezahlte die Kasse nicht. Formen, Farben, Material waren kalkuliert und nicht verhandelbar. Kay Gundlack wollte sich nicht damit abfinden. Der Spielraum war ihm zu eng. Die Zeit war günstig für Veränderungen. Das neue Deutschland gab jedem eine Chance, der das Risiko wagte. Kay Gundlack machte sich selbstständig. Seit dem Jahr 2005 hat er eine Adresse als Maß-Schuster in Parchim.

Schuhmanufaktur Kay Gundlack Parchim Neuer Markt 3

Das Haus am Neuen Markt fällt auf. Ochsenblutfarben angestrichen, saniert von innen und außen. Vom Türknauf über den Flur bis in den Kundenraum heißt die Botschaft: Hier geht es um Schuhe. Die alte Handwerkerstadt an der Elde, einst durch das Tuchmachen bekannt, könnte mit ihrem Schuh-Botschafter punkten und auch mit seiner berühmten Kundschaft. Colanis Handschrift im Goldenen Buch der Stadt wäre eine vorzeigbare Referenz. Um die Weihnachtszeit haben fünf Gewerbetreibende in Parchims Innenstadt ihre Läden geschlossen. Die große Hoffnung Flugplatz ist noch immer am Köcheln. Herr Pang lässt nun endlich ein paar Häuser und Hallen bauen. Geld hat er nicht, und die Architekten bringt er auch aus China mit. Dem Antrag Kay Gundlacks auf einen zusätzlichen Parkplatz vor dem eigenen Geschäft für seine Kunden aus Hamburg und weiter weg haben sie nicht stattgegeben, obwohl er ihn selbst bezahlen will. Parchims Mühlen mahlen langsam. Die Amtsbrille ist beschlagen, manchmal, und übersieht die eigenen Leuchttürme.

In meiner Firma in Pütt bin ich souverän, sagt Gundlack.

Zu Gundlack kommen die Reichen und die Schönen und die Armen und die Kranken, und wer was ist, vermischt sich. Die Reichen sind manchmal die Kranken, und - wenn man ihre Freude in Geld aufwiegen würde, wären die Kranken manchmal die Reichen. Natürlich arbeitet Gundlack gern für Menschen, die im Mittelpunkt der Öffentlichkeit stehen. Wenn Thomas Gottschalk in seiner Show Gundlack-Schuhe trüge, das wäre sein Traum … Bei Thomas Gottschalk im Studio war er nervös und aufgeregt. Zu Hause in Parchim, in der Firma am Neuen Markt 3, ist er der Souverän. Schritt für Schritt hat sich Kay Gundack in den vergangenen sechs Jahren ein seriöses Unternehmen aufgebaut. Seine Ware hat ihren Preis. Hartz IV-Betroffene können sie sich bestenfalls schenken lassen. Allerdings, gemessen an vergleichbaren Schuhen auf den Großen Bleichen in Hamburg oder der Düsseldorfer Kö sind sie preiswert. Dass sie Geld kosten müssen, ist die notwendige Begleiterscheinung einer Zivilisation, die über Geld ihren Werteaustausch regelt. Gundlack hat seinen Platz in der Marktwirtschaft. Seine Gesellschaft ist eine Klassengesellschaft mit Armen und Reichen. Er selbst mittendrin, weder arm noch reich, ein freier Mann, soweit die Gesetze des Marktes es zulassen; ehrgeizig und ganz und gar freiwillig abhängig, was die eigene Arbeit und die Berufsehre angeht. Er will Schuhe bauen, die in der Welt einen guten Ruf haben; er will eine Manufaktur, die ihren Namen verdient.

Nimmst du Koks? fragt eine Freundin.

Gundlack hat noch nie im Leben auch nur einen Joint geraucht. Aber seine Karriere ist schwindelerregend. Vom orthopädischen Schuhmachergesellen zum selbstständigen Meister mit einem Kundenpotential in Deutschlands größten Städten, in der Schweiz und in Italien, dem Land der Edelschuster. Er ist Mitglied von »Ini- tiative Deutsche Manufakturen, Handmade in Deutschland«. Die Initiative hat acht handverlesene Mitglieder, u.a. die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin, KPM, Poggenpohl (Möbel), Peter Bock (Schreibgeräte) … und als jüngstes und einziges Mitglied aus dem Osten Kay Gundlack. Die Idee des Bündnisses ist die Renaissance der Manufaktur, die gegen den Trend von Massenfertigung auf die alten Tugenden von Handarbeit verweist und auf dem Weltmarkt eine neue Form von Exklusivität anbietet. Eine Pracht-Buchausgabe »Deutsche Standards. Handgemacht. Die schönsten Manufakturen Deutschlands. Eine Auswahl in Wort und Bild« von Florian Langenscheidt wurde im Februar 2012 in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. Da darf die Freundin schon fragen: Wie verkraftest du das. Nimmst du Koks?

Manchmal hab ich Angst, sagt Kay Gundlack.

Der verträumte, ehrgeizige Schumacher ist auch schicksalsgläubig. Sie waren zwei Geschwister. Beide hatten unabhängig voneinander schwere Unfälle. Die Schwester starb bei einem Autocrash. Gundlack überlebte knapp eine Motorrad-Karambolage. Er sieht das als Wink des Schicksals. Die zweite Chance. Gundlack will Leistung bringen. Will es der Welt zeigen. Gundlacks Vorbild ist der Engländer John Lobb, »König der Schuhe«, der für das britische Königshaus arbeiten darf. Gundlack will nicht für Könige arbeiten, er will wie für Könige arbeiten, die besten Schuhe will er machen, aber keine Luxus-Schuhe.

Was ist Luxus? Das definiert die Gesellschaft. Es gab Kulturen und Zeiten, in denen Anti-Luxusgesetze erfunden wurden. Der Doge Geralamo Priuli zum Beispiel regelte 1562, dass die Gondeln in Venedig schwarze Farbe tragen, um Prunksucht zu verhindern. Unsere Zeit kennt für Luxus keine Grenzen. Es gäbe sonst nicht das Ithaa auf den Malediven, das einzige vollverglaste Unterwasser-Restau- rant der Welt, in dem man während des Speisens den Haien, Rochen und Riesenschildkröten zusehen kann. - Da will Kay Gundlack nicht hin. Ihm geht es gut. Von zig Millionen Menschen auf der Welt lebt er seinen Traumberuf. Er staunt, was alles passiert ist und was jeden Tag passiert. Er hat Pläne. Tausend verrückte Ideen. Der Kopf ist voll. Die Hände kommen mit der Arbeit kaum nach.

»Manchmal hab ich Angst, sagt er. Aber das ist wohl normal.«