Musterland der Aufklärung und der Kunst

Anhalt, das älteste und kleinste deutsche Kulturland, feiert in diesem Jahr selbstbewusst sein 800-jähriges Bestehen

  • Roland Mischke
  • Lesedauer: 6 Min.

Es sind russische Sponsoren, die Katharina der Großen huldigen. Sie schuf die Weltmacht Russland, sagen sie, wenn sie in Zerbst vor dem Denkmal der einstigen Zarin Blumen ablegen. Die Skulptur wurde vom russischen Bildhauer Michail Perejaslawez geschaffen, sie steht vor dem Torso des immer noch mächtigen Schlosses auf einem Hügel. Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst-Dornburg (1729-1796), die später Katharina wurde, verbrachte hier entscheidende Jahre. Geboren in Stettin, kam sie als Halbwüchsige nach Anhalt, weil ihr Vater Fürst wurde. 1744 verließ sie das Städtchen.

Preußenkönig Friedrich II. hatte sie nach Moskau verschachert, das 15-jährige Mädchen war nicht um Erlaubnis gebeten worden. Durch die Verheiratung mit Großfürsten Peter III. erhoffte sich der preußische König Ruhe an der östlichen Flanke. 1754 bekam die Großfürstin, die zum russisch-orthodoxen Glauben übergetreten war, ihr erstes Kind. Es wurde vom Hof anerkannt, obwohl Peter nicht der Erzeuger war. Der kindliche Herrscher, der minderbegabt war und die Tage mit Spielen verbrachte, wurde 1762 ermordet. Seine Frau krönte man zur Kaiserin Russlands, sie regierte das Land 34 Jahre lang. Nie mehr trug eine Herrscherin den Beinamen »die Große«.

Mit gewaltiger Energie paukte die Anhalterin Reformen im Riesenreich durch, holte deutsche Entwicklungshelfer und verhielt sich außenpolitisch sehr geschickt, so dass es in ihrer Zeit kaum zu militärischen Auseinandersetzungen kam. Sie sorgte sich um die Gesundheit des Volkes und setzte sich für eine Schulreform ein, selbst Lehrpläne soll sie erarbeitet haben. Ihren Liebhabern gelang es nie, ihre Politik zu beeinflussen, Bett und Thron blieben stets getrennt. Die Russen ehren Katharina als Reformerin.

Solches erfährt der Besucher im Katharinen-Museum in Zerbst, das zu Anhalt gehört, ein kleiner Teil von Sachsen-Anhalt. In diesem Jahr wird die Region im Bindestrich-Land 800 Jahre alt. Anhalt ist eine Ableitung von Askanien. Sie entstand in der Gegend um Aschersleben, dem ursprünglichen Stammesgebiet der Askanier. Dort regierte der rauflustige Fürst Albrecht der Bär, der die Slawen aus der Gegend um das heutige Berlin vertrieb und 1157 die Stadt gründete, die heute Deutschlands Hauptstadt ist. Es war aber Albrechts Enkel Heinrich I., der 1212 an die Macht gelangte und sie so festigte, dass aus Askanien Anhalt wurde, das auf die Landkarte gelangte. Deshalb feiert Anhalt 2012 sein 800-Jahre-Jubiläum als kleinste, aber älteste deutsche Kulturlandschaft. Sie hat die Nation vielfach bereichert: mit dem »Sachsenspiegel« als Grundlage europäischer Rechtskultur, ersten Gartenreichen, dem Bauhaus als Wiege der Moderne, dem Flugzeugbau in den Dessauer Junkers-Werken, musikalischen Werken vom Genius Bach bis zum Entertainer Kurt Weill und einigen anderen herausragenden historischen Figuren.

Zu ihnen zählt Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817), bekannter als »der alte Dessauer«. Ihm verdanken wir Wörlitz, eine der schönsten Parklandschaften Deutschlands. Als junger Mann war der Fürst ins preußische Militär eingerückt, aus ästhetischen Gründen führte er den Gleichschritt ein, kehrte sich dann aber vom Marschieren ab und avancierte zum Reformer bürgerlicher Aufklärung. 60 Jahre lang paukte er das Konzept durch, das Land zu verschönern. »Vater Franz« wollte »Inneres« auf »Äußeres« wirken lassen, in seinem Mini-Reich sollte es »Brot für jeden« geben, aber keinen »gefährlichen Müßiggang«. Die Untertanen sollten hart arbeiten, sie schufen das Gartenreich Wörlitz mit dem Schloss als Gründungswerk des deutschen Klassizismus. Der Fürst hatte seinen alten Jugendfreund Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf mit dem großen Projekt beauftragt.

Der 120 Hektar große Park ist eine Augenweide. Mit Kanälen, Seen, Zug- und Kettenbrücken und Wiesenflächen, auf denen Pfauen ihr Gefieder spreizen. Mit wunderbaren Sichtachsen, Maulbeerbäumen auf künstlichen Hügeln, einem innovativen Schloss mit Wasserleitungen, Bädern und Eisschränken, moderner Forst- und Fischwirtschaft, dem Flora- und Venustempel und einer Synagoge. Man kann über das perfekt erhaltene, von 39 Gärtnern bewirtschaftete Wunderwerk nur staunen. Während es rings ums Ländchen Kriege und Unruhen gab, gärtnerte der alte Dessauer und hinterließ ein von Menschenhand geschaffenes Refugium, das auch von Bürgern betreten werden durfte.

Köthen hat heute 29 000 Einwohner, aber als es nur 3000 waren, war es schon ein kulturelles Kleinod am Rand der preußischen Militär- und Leibeigenen-Wüste. Johann Sebastian Bach war am Köthener Hof von 1717 bis 1723 Hofkapellmeister, später nannte er diese Zeit »die glücklichste seines Lebens«. Neben seinen höfischen Verpflichtungen komponierte er so wichtige Werke wie das »Wohltemperierte Klavier« und die sechs »Brandenburgischen Konzerte«. Hier erlangte seine Musik die unerhörte Tiefe an Gedanken und Gefühlen, die bis heute fasziniert. Die Frische der Köthener Kompositionen soll er später nicht mehr erreicht haben. Die Stadt ehrt ihn mit einem Denkmal in zentraler Lage.

Prinz Eduard von Anhalt, 63, ist seit der Wende Vorstand des Familiengeschlechts der Anhalter (man sage nie Anhaltiner). Er erzählt, dass Köthen um 1900 durch tägliche Zugverbindungen mit Berlin verbunden war, die Dampfzüge hielten am Anhalter Bahnhof, der nach den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs nur noch eine Portalruine war und heute unterirdische S-Bahn-Station ist. Die Herzöge von Anhalt versorgten die Reichshauptstadt mit Agrarprodukten, Fleisch und Fisch. Köthen hatte das erste Casino, Pokerspieler reisten aus Berlin mit dem Zug an. »Anhalt war ein Ort der Moderne«, fasst Prinz Eduard seine Aufzählung zusammen. Mit seiner Frau kümmert er sich um Schlösser und Museen und hat ein Unternehmen gegründet, das Produkte aus Anhalt, vor allem essbare, bundesweit vertreibt. Im Internet firmiert es unter »Made in Anhalt«.

Anhalt, sagt der Blaublütige, war das Musterland der Aufklärung im 18. und 19. Jahrhundert. Es gab schon früh eine Schulpflicht, Religionstoleranz wurde großgeschrieben, Christen und Juden lebten lange Zeit friedlich zusammen. Als die Nazis die Synagoge im Wörlitzer Park 1938 abbrennen wollten, verweigerte der Hofgärtner den NS-Schergen das Feuerholz. »Neben fürstlichen Reformen gab es bürgerliche, kulturelle und technische Innovationen«, so Prinz Eduard. Stolz ist er vor allem auf Dessau und seine kulturellen Hinterlassenschaften aus der Bauhaus-Periode, die Zehntausende Touristen anziehen. »Ohne den Flugzeugbau eines Hugo Junkers sähe die Welt anders aus«, sagt er.

In Dessau hat das Jubiläumsjahr jüngst mit einem Festakt im Anhaltischen Theater begonnen. Eine Briefmarke erschien, und es gibt bis in den Herbst hinein Konzerte, Symposien und Ausstellungen. Die Veranstaltungsorte werden mit Exkursionen und Spezialangeboten verbunden, die nicht nur die UNESCO-Welterbestätten Dessau und Wörlitzer Park, sondern auch andere anhaltische Orte - wie Schloss Oranienbaum - vernetzen. Auch das Park Restaurant »Vogelherd« am Rand von Zerbst, Anhalts erste kulinarische Adresse, mit mehreren Gault-Millau-Punkten verziert, wartet mit seiner Spitzenküche auf Besuch. Eine fast vergessene Region kehrt auf die kulturelle Landkarte zurück. Sie ist von Berlin aus noch immer auf dem Schienenweg zu erreichen. Und nicht nur von dort.

Infos: IMG - Investitions- und Marketinggesellschaft des Landes Sachsen-Anhalt mbH, Am Alten Theater 6, 39104 Magdeburg, Tel: (0391) 562 83-820, Fax -811, E-Mail: tourismus@img-sachsen-anhalt.de, www.sachsen-anhalt-tourismus.de. Hier bekommt man auch die Broschüre »Fürstlich Anhalt« mit zahlreichen Reisepaketangeboten.

  • Infos zum Jubiläumsjahr: www.anhalt800.de
  • Köthen-Information, Tel.: (03496) 700 99 260, www.bachstadt-koethen.de; Tourist-Information Zerbst, Tel.: (03923) 76 01 78, www.stadt-zerbst.de; Wörlitzer Park, Tel.: (034905) 310 09, www.woerlitz-information.de

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